Jahresliteraturbericht 2

         (Erscheinungsjahr 2012)


Militärisch-historische und militärtechnische Aspekte der DDR-Luftwaffen-Geschichtsschreibung

im Zeitraum 2011


Walter Hundt


Differenzierende Bewertungen der DDR-Luftstreitkräfte: „Alte Feinde - alte und neue Kameraden“


Eine aufschlußreiche Darstellung der komplizierten Prozesse 1989/90 um die Beziehungen zwischen den Luftstreitkräften der DDR und der zum Zeitpunkt des Beginns dieser Entwicklung ja noch westdeutschen Bundesluftwaffe sowie des unterschiedlich angestrebten und dann davon abweichenden erreichten Status bietet die Schrift „Ende/Neuanfang. Die deutschen Luftstreitkräfte in der Wiedervereinigung“ 1). Die Publikation wurde herausgegeben als Handbuch zur zeitweiligen Sonderausstellung des in Dresden neu eröffneten Militärhistorischen Museums der Bundeswehr, die auf dem Flugplatz Berlin-Gatow eingerichtet wurde. Es handelt sich dabei um eine hoch interessante, recht arbeitsintensive Ausstellung, die für ein Jahr geöffnet wurde und sicher mit sehr unterschiedlichen Meinungen, Auffassungen und Positionen der Besucher konfrontiert werden wird – je nach persönlichem Erleben. Zu empfehlen ist auch der Besuch der im Innen- und Außenbereich des Flugplatzgeländes ständig geöffneten politisch-historischen und fliegertechnischen Ausstellung zur Entwicklung der deutschen Luftwaffe und der Luftstreitkräfte beider deutscher Staaten. Buch und Ausstellung geben insgesamt eine interessante Darstellung vieler Fakten und Zusammenhänge, bei denen sich aber hier und da auch kleine Oberflächlichkeiten eingeschlichen haben (z.B. auf S.15 falsches Datum des DDR-Feiertags und der Parade). Die Gestalter erwiesen sich – so heißt es im Umfeld – diesbezüglich wenig beratungsinteressiert. Methodisch bedienen sie sich zweier Erzähler (Generalleutnant a.D. Kleppin von seiten der Bundesluftwaffe und Oberst a.D. Wünsche von den LSK/LV der NVA), die zu bestimmten Problemen aus persönlicher Erfahrung Stellung nehmen, ergänzt durch weitere Themenzeitzeugen.

 

Die vom damaligen Minister Eppelmann vertretene und verbreitete Auffassung „von zwei Armeen in einem Land“, bei der es sich um „keine Demilitarisierung im Sinne der schnellstmöglichen Auflösung“ handeln sollte,  wurde von westdeutscher Seite schnell ad acta gelegt, obwohl gerade daran  bei vielen NVA-Angehörigen bestimmte Hoffnungen geknüpft wurden. Auf diesem Boden gediehen schnell Gedanken bezüglich von Schritten zu einer ermöglichten Eingliederung der ostdeutschen LSK in die Bundesluftwaffe. An ihre Stelle traten – wie die Broschüre immer wieder deutlich macht – schnell Thesen wie „Armee der Einheit, die sich im Frieden zusammengefunden hat“ und auch „deutsche Luftstreitkräfte in der Wiedervereinigung“, was den militärpolitischen Kurs der politisch maßgeblichen Kräfte unverwechselbar deutlich machte. Sicher war dies zu diesem Zeitpunkt nicht das Wunschbild bei allen Beteiligten und Betroffenen, enthielt es doch viele Fragezeichen bei Insidern und entbehrte damit mindestens zunächst einer gewissen Realität, was überhaupt irritierend wirkte. Ähnlich war es mit den Thesen, die besagten, daß es sich hierbei um eine „Verschmelzung beider Luftstreitkräfte“, ja um ein „Aus zwei mach eins, nämlich gesamtdeutsche Luftstreitkräfte “ und ein  „Zusammenwachsen von Ost und West in der Luftwaffe der Bundeswehr“ handeln könnte. Manche sprachen zumindest von einer „Ost-West-Vereinigung der Technik der Luftstreitkräfte“. Gleich gar nicht konnte von einer „Wiedervereinigung der beiden deutschen Luftstreitkräfte“ gesprochen werden, was allein schon historisch-begrifflicher Unsinn ist. Zurückhaltung zu solchen Überlegungen gab es  übrigens nicht nur auf ostdeutscher Seite. Am Ende des Theoretisierens stand dann knallhart die Abwicklung der LSK/LV oder – wie es Egon Bahr, der als Berater in Strausberg wirkte, sagte – nach verlogenem Hinhalten voller psychologischer Diskrepanzen wurde „von nun an nur noch umgesetzt, übergeben, abgewickelt und aufgelöst“. Am Ende steht die Frage: „Wer hat eigentlich wen und was wann wie zusammengefügt?“ Eine

Erfolgsstory sieht anders aus. Die zweifelsohne auch vorhandenen Positiva jener Periode werden zurecht hervorgehoben.


Vielleicht werden eines Tages unsere Enkel verschiedenen umstrittenen, konstruierten Sachver- halten  beim Besuch der Ausstellung ohne Zögern Glauben schenken und dies in der Schule auch so lernen. Dem aufmerksamen Betrachter entgeht nicht, daß die Ausstellung auch auf beiden Seiten damals vorhandene revisionsbedürftige Auffassungen deutlich macht, nicht zuletzt beim Unter- und Überschätzen des einstmaligen Gegners. Buch und Ausstellung stellen der Bundeswehr die NVA als „Parteiarmee“ gegenüber, woraus sich ein unterschiedlicher Auftrag und eine unterschiedliche Strategie ergaben, die sich in der Teilstreitkraft Luftstreitkräfte widerspiegelte. Den Angehörigen der DDR-Luftstreitkräfte wird der Staatsbürger in Uniform in der alten Bundesrepublik gegenübergestellt und ein wenig überzeugendes Gesamtbild gezeichnet, in das ein westliches Wunschbild, wie sie hätten denken sollen und müssen, zur Gegebenheit erhoben wird. Viele Thesen sind entweder bewußt manipuliert oder  mindestens von Unkenntnis getragen. Konstatiert wird ohne Zögern, daß die NVA „bei den Leuten verhaßt war“ und daß Bw-Offiziere „eben einen ganz anderen Umgang“ mit ihren Untergebenen hätten. Die  Erwähnung, daß die NVA die erste und einzige deutsche Armee war, die keine Grenze in feindlicher Absicht überschritten und demzufolge keinen einzigen Schuß dabei abgegebenen hat, hätte den Autoren gut zu Gesicht gestanden.

Viele Dinge sind nur richtig zu verstehen, wenn man sie einordnet in die Generalfrage der erst 1989/90 beendeten Zeit, in der Deutschland mit seinen zwei deutschen Staaten und deren in internationalen Bündnissen verankerten zwei Armeen die Frontlinie des weltumfassenden Systemkonflikts bildete. Das führte zu einem unbegrenzten Wettrüsten im Kalten Krieg, ungeachtet der sich in den 70er Jahren abzeichnenden Entspannungs- und  Abrüstungsbemühungen.  

                   

Das hätte man in Buch und Ausstellung noch deutlicher machen sollen, in denen die Palette von gelungen realistischen Darstellungen über Illusionen und Wunschvorstellungen sowie manchen bis zu Geschichtsklitterungen reichenden Unterstellungen und zu absoluten Fehleinschätzungen reicht, z.B. die Haß-Erziehung und deren Reichweite vom jeweiligen Gesellschaftssystem bis zum einzelnen Soldaten in personam auf beiden Seiten betreffend. Eine einseitige Betrachtung führt hier und da in die Nähe von Delegitimierung und pauschaler Diffamierung der NVA und ihrer Angehörigen. Denn auch in der Bundesrepublik wurde nachweislich ein außenpolitisch ausgerichtetes Feindbild innenpolitisch instrumentalisiert. Vielleicht erklärt das den „unkonven-

tionellen Abgang“ des größten Teils  der NVA wie auch ihrer Luftstreitkräfte, die vollständige Liquidierung aller Traditionen einschließlich der Uniform, der Symbolik, der Dienstvorschriften, die offizielle Einstufung als „Angehörige fremder Streitkräfte“, woraus sich das a.D.-Verbot bei der Führung der Dienstgrade ergab - im Gegensatz zu denen der faschistischen Wehrmacht.

Die Ausstellung geht auch ein auf die wenig bekannten Vorstufen der LSK/LV der DDR, nämlich die VP Luft und den Aeroklub des MdI, und die allerletzten Aktivitäten im Zusammenhang mit den Bemühungen um die relativ späte und deshalb unvollendete Militärreform, die relativ geringe Auswirkungen auf die LSK/LV hatte, den Rückzug des Partei- und des Polit-Apparates, die Gründung des Verbandes der Berufssoldaten der NVA als unabhängige Interessenvertretung u.a.


Die 5. Luftwaffendivision, in der die Verbände, Truppenteile und Einheiten der LSK/LV zusammengeführt wurden, bestand von 1991-1994. Die Personalstärke wurde reduziert, das Flugstundenpotential gekürzt, was auf heftige Kritik stieß und wodurch das DHS und die Luftraumüberwachung, die bald wegfielen, stark beeinträchtigt wurden. Ausbildung und allgemeiner Dienst liefen trotz der Personalsituation zunächst weiter. Der „Übergang“ wurde von westdeutscher Seite bewältigt durch Luftwaffen-Erkundungskommandos (400 in Fürstenfeldbruck vorbereitete Offiziere und Unteroffiziere) und Kommandeurs- und Abwicklungsgruppen. 180 Bundeswehr-Angehörige und 50 Beraterteams der Luftwaffe wurden speziell auf einen Osteinsatz vorbereitet. Schließlich lenkte eine Koordinierungsstelle Luftwaffe das gegenseitige, auch halboffizielle Aufeinandertreffen  (ca. 300 Treffen allein von Mai bis September 1990).

Da stets lange Zeit von der „Integration der Soldaten und des Materials“ gesprochen wurde, abschließende Bemerkungen zu Fakten, über die Buch und Ausstellung nicht oder überaus wenig sagen: zur Technik der fliegenden Truppenteile und Einheiten, des Fla-Raketen-Bestands und der Funkmeß-Ausrüstungen. In einer kaum als Integration zu nennenden Aktion kam es zur massenhaften Aussonderung der LSK/LV-Bestände. Ein riesiges weitgehend erhaltenswertes Potential (einstmals Bestandteil des Volksvermögens!) blieb auf der Strecke, d.h. wurde nicht  „integriert“. Große Teile des Bestandes gingen an etwa 70 Staaten in aller Welt, politisch verschenkt, aber auch mit finanziellen Erlösen, die aber nie mit der sogenannten „DDR-Schuldenbilanz“ verrechnet wurden. Darunter waren 446 Jagd- und Jagdbombenflugzeuge, 250 Kampfhubschrauber und andere Hubschrauber und Transportflugzeuge und 50 Fla-Raketen-Komplexe. Eine Ausnahme bildeten die 24 MiG-29-Maschinen, die als modernes kampfstarkes Geschwader 73 (Laage) in den Bestand der Bundesluftwaffe gingen und erst wesentlich später für

1 € pro Maschine als „Freundschaftsgeschenk“ an die polnische Luftwaffe übergeben wurden! Aus dem Regierungsflieger-Geschwader (TG 44) wurden einige Tu-154M, mehrere Mi-8S sowie einige Airbus A 310 (Interflug-stationiert)  übernommen. Wie zu sehen ist: alles in allem eine in vielerlei Hinsicht zur Diskussion und zum weiteren Überlegen anregende Veröffentlichung.


Mit der DVD „MiG-29 über Deutschland“ 2) kam 2011 eine außerordentlich interessante Veröffentlichung hier und da erneut auf den Markt. Produziert von der Sanssouci Film GmbH Kleinmachnow enthält der 42 Minuten lange Film 1990 - also vor dem endgültigen Abzug der sowjetischen Luftstreitkräfte aus der DDR - einmalig für ein DDR-Team gestattete, absolut unzensierte  Aufnahmen aus dem Dienstbetrieb und dem fliegerischen Alltag des sowjetischen

33. Jagdfliegergeschwaders, das in Wittstock stationiert war. Der militärtechnisch oder militärhistorisch Interessierte erhält hier vorher nicht mögliche und strengster Geheimhaltung unterliegende Aufnahmen über das technische Niveau, den Ausbildungsstand, die Einsatzpalette, die Luftkampfführung, die Kampfkraft und die Gefechtsfähigkeit eines Verbandes, der mit diesem von der NATO als„Fulcrum A“ geführten Kampfflugzeug ausgestattet war, das nachweislich seinerzeit allen westlichen Typen überlegen war.


Aufmerksamkeit verdienen die 6 Hefte des 60. Jahrgangs (1911) des  in Köln erscheinenden

„Fliegerblatt“ 3), herausgegeben von der Gemeinschaft der Flieger deutscher Streitkräfte e.V. Sie enthalten u.a. hoch interessante, zumeist reich bebilderte  Artikel über moderne Flugzeugtypen, fliegerische und technische Probleme sowie aktuelle und historische Darstellungen aus der deutschen und internationalen Luftwaffengeschichte, besonders aus der Bundesluftwaffe, zunehmend aber auch aus den Luftstreitkräften der DDR. Was bei vielen politischen Publikationen vielfach noch zu wünschen übrig läßt, ist im „Fliegerblatt“ im allgemeinen selbstverständlich, nämlich eine objektive Behandlung der die DDR und ihre Luftstreitkräfte betreffenden Fragen. Auch ostdeutsche Autoren kommen zunehmend zu Wort.

 

Die Gemeinschaft, der naturgemäß ursprünglich ehemalige Bundesluftwaffen-Angehörige und vereinzelt Mitglieder, die noch im 2. Weltkrieg geflogen waren, angehörten, hat sich seit einigen Jahren auch ehemaligen Angehörigen der DDR-Luftstreitkräfte geöffnet und veränderte dazu förmlich ihre Vereinsbezeichnung. Mitglieder sind auch die bekannten Generale a.D. Sigmund Jähn und Rolf Berger (verst.). Korporative Mitglieder sind inzwischen die Traditionsgemeinschaften zahlreicher DDR-Jagd- und Jagdbombengeschwader sowie die der Offiziershochschule der LSK/LV Kamenz.   


    

Bis gestern modern ausgerüstete, breit und speziell gefächerte, hoch qualifizierte Luftstreitkräfte


In der Zeit zwischen der Geburtsstunde von Luftstreitkräften der DDR im Oktober 1950 mit der Bildung des Referats z.b.V. Luft im Ministerium des Inneren und der Beendigung der Tätigkeit des Kommandos Luftstreitkräfte/Luftverteidigung der NVA im Oktober 1990 hatte sich eine rasante und bemerkenswerte Entwicklung vollzogen. Für sie stand der technisch-historische Sprung von der Jak-18 und der Jak-11 zum Spitzen-Jagdflugzeug MiG-29 (als geschlossenes Geschwader Jg 73 sofort von der Bundesluftwaffe übernommen) und zum Jagdbomber Su-22M4 über viele Zwischenstufen, die ähnlich bei den Transportflieger- und Hubschrauberkräften verlaufen war (wie auch bei den im Verlauf dieser Darlegungen noch zu behandelnden Fla-Raketentruppen, für die

zuletzt der Komplex S-300PMU stand, und bei den anderen Waffengattungen der LSK/LV).

Einen exakten Überblick über diesen komplizierten Prozeß, hinter dem Menschen und Technik standen, vermitteln zwei hervorragende Typenhandbücher des Autors Michael Normann:

a) „Kampfflugzeuge der NVA 1956-1990“ 4) und b) „Transporter und Hubschrauber der NVA 1956-1990“ 5).


Der Autor schöpft offensichtlich aus einem beispiellos reichhaltigen persönlichen Archiv mit erstklassigem, ausgezeichnetem Bildmaterial. Er liefert eine umfassende Typenbeschreibung und Datentabellen (technische Beschaffenheit und Spezifika, Bewaffnung, Kampfkraft und Einsatz- möglichkeiten, Vorzüge und Schwächen). So werden dem Leser 31 Jagd-, Jagdbomben- und Trainings-/Ausbildungsflugzeuge sowjetischer und tschechoslowakischer Produktion vorgestellt. Im zweiten Band erfolgt die gleiche Verfahrensweise mit 13 Transport- und Verbindungsflugzeugen mit ihren verschiedenen Einsatzvarianten und mit den Varianten von 7 Hubschrauber-Typen, die bei allen Teilstreitkräften im Einsatz waren. Der Leser stößt dabei auf die jahrzehntelang im Einsatz befindlichen legendären Po-2 („Nähmaschine“) und An-2 („Anna“), letztere noch heute – wie der Rezensent aus eigener Erfahrung weiß -  in vielen Ländern der Erde zuverlässig im Einsatz. Die Palette der Hubschrauber bzw. Kampfhubschrauber beginnt mit der Mi-1 und reicht über Zwischenvarianten bis zum mehr oder weniger geheimgehaltenen „fliegenden Gefechtsstand“ Mi-9 (der gesamte Bestand wurde komplett von der Bundesluftwaffe übernommen), zur von der Volksmarine zur U-Boot-Jagd genutzten Mi-14PL und der in Afghanistan von der Sowjetarmee unter Praxisbedingungen getesteten und permanent weiterentwickelten Mi-24P. Beide Titel heben sich von der einschlägigen Fachliteratur in vielen Details positiv ab und gehen teilweise weit darüber hinaus. Interessant wären einige Angaben zum Autor gewesen.


Herausgegeben von Peter Misch erschien als ebenfalls aus der knappen einschlägigen Literatur herausragender Titel von Thomas Bußmann „Stahlbeton, Gras und Bahnbefeuerung. Die militärisch genutzten Flugplätze der DDR“ 6). Basierend auf persönlicher Sachkenntnis, vorhandenen NVA-Vorschriften, umfassenden Archivstudien (im wesentlichen nach der Wende und auch unter Verwendung von Materialien westlicher Geheimdienste) sowie von Zeitzeugen legte der Autor, von dem bereits andere mit den Luftstreitkräften befaßte Veröffentlichungen bekannt sind, eine Ausarbeitung vor, die sicherlich sowohl spezialisierte Fachleute und tätigkeitsbedingte Sachkenner als aber auch luftwaffen-geschichtlich Interessierte voller Spannung in die Hand nehmen werden. Der Kreis der mit der komplizierten Flugplatz-Thematik in der im vorliegenden Band nachgewiesenen Qualität befaßten Spezialisten ist nach Kenntnis des Rezensenten gering. Trotzdem und gerade deshalb ist dem Buch ein breiter Leserkreis zu wünschen. Dem Band ist anzusehen, daß er das Resultat fleißiger, aufwendiger Arbeit ist. Er enthält umfangreiche Zeichnungen und Skizzen sowie viele Fotos.


Der Autor faßt Flugplätze (auch ehemalige) als bauliche Hinterlassenschaften, die „mit ihren befestigten Flugbetriebsflächen, den flugplatztypischen Bauten und Schutzbauwerken (Bunkern) bisher unauslöschbare Spuren in der Landschaft hinterlassen“ haben. Er startet mit einer militärisch-baulichen Begriffsbestimmung  „Militärflugplatz“. Dabei erfährt der Leser bereits vieles über die notwendigerweise differenzierte Beschaffenheit der Plätze, ihrer Bauten und Einrichtungen ent- sprechend den Aufgaben der Flugzeugarten. Dem folgt ein interessanter historischer Überblick über die Entwicklung des ostdeutschen Flugplatzbestandes und des Flugplatzbaus nach 1945. Für diese Aufgabe standen dem Kommando LSK/LV - neben spezifischen zivilen Betrieben – das Flugplatzbau-Pionierbataillon 14 und das Baupionierbataillon 24 zur Verfügung, deren Entwicklung ebenfalls geschildert wird. Eine dazu gehörende Zeittafel behandelt den Verlauf des Baus von Militärflugplätzen, für den gegebenen Fall geeignete „perspektivische“ Geländeabschnitte und geeignete Autobahnabschnitte.


Der Leser erhält mittels „General- und Lageplänen“ eine exakte Übersicht über 11 Flugplätze mit besonderer Wichtigkeit. Über 20 ständig genutzte Flugplätze, 8 Feldflugplätze (Manöverflugplätze), 8 als Flugplatzabschnitt genutzte Autobahnabschnitte, 10 Flugplätze mit ziviler Nutzung und

7 weitere geplante Flugplätze und Feldflugplätze erfährt man Interessantes über Geschichte, Aufbau und Betrieb sowie andere wichtige Daten. Dabei taucht naturgemäß das Verhältnis zwischen militärischen Forderungen und ökonomischer Machbarkeit auf. 1990 bestand als Resultat 40jähriger Tätigkeit von ungezählten Armeeangehörigen und Baulauten (Projektierung, Bau und Erhaltung) ein riesiges System von militärisch genutzten Flugplätzen, deren übergroße Mehrheit im gleichen Jahr eine „neue Verwendung“ erfuhren: eine weitere Nutzung durch die Bundesluftwaffe (Laage, Holzdorf, Neubrandenburg-Trollenhagen); eine Einbeziehung in unklare Luftfahrt-Konzepte der Bundesländer; eine ungewisse zivile Nutzung oder sie wurden sofort und für immer aufgegeben.         


Technik und Anlagen erforderten qualifizierte Menschen. Auf diese Seite weist eine Publikation von Anna Hasselbach mit dem Titel „Fliegertreffen zum Jubiläum ,100 Jahre Fliegen in Kamenz´ - Fotoimpressionen (25./26.3.2011)“ 7) hin. Aus Anlaß des ersten Starts des damaligen Leiters der Fliegerschule für sächsische Offiziere Oswald Kahnt 1911 mit einem Grade-Eindecker vom Kasernenhof der späteren Offiziershochschule der LSK/LV der DDR trafen sich die Flieger der ersten drei Flugzeugführer-Lehrgänge der NVA aus dem Jahre 1955, unter ihnen Kosmonaut Generalmajor a.D. Sigmund Jähn. Sie enthüllten in Anwesenheit des Oberbürgermeisters und zahlreicher Ehrengäste eine Oswald-Kahnt-Gedenktafel am historischen Ort. Die Fotomappe enthält Aufnahmen vom Treffen, aber auch zahlreiche historische Aufnahmen aus den verschiedenen Etappen der fliegerischen Entwicklung des Kamenzer Flugplatzes.  

  



Ein Beispiel für „Berührungsfelder“ zwischen Luftstreitkräften und Zivilluftfahrt in der DDR


Ein Autor, der aus jahrzehntelanger persönlicher militärischer und quasi-ziviler Erfahrung (Interflug) über den oben angedeuteten Zusammenhang berichten kann und dies zu einen inter-essanten Buch zusammengefaßt hat, ist Günter Krönert mit seinem reich bebilderten Titel „Hubschrauber im Einsatz“ 8). Nach dem Besuch der Offiziersschule der LSK/LV sind seine Stationen die Hubschrauberpiloten-Ausbildung auf Mi-4 in Cottbus, an der Fliegerschule Dessau und bei einer sowjetischen Einheit in Schönefeld und die folgende Tätigkeit als Kettenkommandeur im Hubschrauber-Geschwader Brandenburg-Briest. 1959 erfolgt für ihn und ein Team seines Geschwaders, das bereits mit ihren Maschinen Aufgaben im zivilen Bereich mit Erfolg ausgeführt hat, die Kommandierung zur Deutschen Lufthansa der DDR, und ihre Versetzung in die Reserve. Gleichzeitig werden zwei Mi-4 an die DLH, die spätere Interflug, überstellt als Grundstock für einen Bereich Spezialflug im Betriebsteil Wirtschaftsflug, zu dem  in der Folgezeit auch Mi-8 und Ka-26 gehörten.


Diese Hubschrauber-Gruppe unter der Leitung von Krönert, deren Personalstärke nach und nach auf 37 - vielfach mit der erwähnten militärisch-fliegerischen Vorqualifizierung - anstieg, erbrachte in den folgenden Jahren einen bemerkenswerten volkswirtschaftlichen Nutzen auf einer Vielzahl von Spezialgebieten. Der Autor schildert anschaulich diesen Prozeß und das ungeheuer breite Einsatzspektrum dieser Spezialisten in allen Bezirken der DDR und in verschiedenen Nachbar- ländern. Dazu gehörten u.a.: funktechnische Meßflüge, geophysikalische Erkundung, Kran- und Außenlastflüge („fliegende Kräne“), Errichtung von Türmen, Antennen, Schornsteinen, Brücken und anderen industriellen Bauten, Leitungsbau für Trinkwasser, Elektrizität und Gas, Katastropheneinsätze und Rettungsflüge, Waldbrandbekämpfung, Düngung und Kalkungen in der Forstwirtschaft, Verkehrsüberwachung, Übertragungen für Sport, Kultur und Fernsehen.    


Der aus besagter Gruppe hervorgegangene Interflug-Betrieb FIF (Fernerkundung, Industrie- und Forschungsflug) mit seiner in der Welt vermutlich einmaligen Hubschrauber-Staffel und deren hochqualifiziertem Personalbestand wurde nach der „Wende“ liquidiert und der materielle Bestand für 1 D-Mark an einen westdeutschen Konzern „verkauft“.          



Luftstreitkräfte und internationale Solidarität mit Ländern der Dritten Welt


Das Thema der internationalen Solidarität mit Staaten mit „antiimperialistisch-sozialistischer Orientierung“ in Afrika, Asien und Lateinamerika und deren Streitkräften berührte auch die Angehörigen der NVA aller Dienstgradgruppen , darunter naturgemäß auch die der LSK/LV, genau wie relativ große Teile der Zivilbevölkerung der DDR direkt über ihre persönlichen freiwilligen Solidaritätsspenden, die an das Solidaritätskomitee der DDR abgeführt wurden.


Vier 2011/12 erschienene (im Anhang aufgeführte) Publikationen 9), die sich zwar nicht speziell mit den Luftstreitkräften beschäftigen, auf diese aber im Rahmen ihrer gesamtmilitärischen Untersuchungen zur NVA eingehen, haben eine andere Seite der in der DDR-Verfassung verankerten Solidarität  zum Gegenstand: die Ausbildung von Militärkadern aus diesen jungen Nationalstaaten und ihre Unterstützung durch die Lieferung von Militärgütern unterschiedlicher Art, darunter auch Waffen und schweres militärisches Gerät. Storkmann (siehe 9a) weist darauf hin, daß diese militärische Seite des Quasi-Bündnisses zwischen den sozialistischen Staaten und den aus dem antikolonialen Kampf hervorgegangenen Ländern in der Öffentlichkeit nicht gerade breit behandelt wurde. Überzogene hochgradige Geheimhaltung fütterte nicht zuletzt auch unübertroffene Sensationshascherei der Westpresse an.


Ein großer Teil der Angehörigen der LSK/LV war maßgeblich an der Umsetzung dieses Teil der DDR-Solidaritätsaktivitäten in dieser oder jener Form beteiligt, sei es bei der Ausbildung ausländischer Kameraden zu Offizieren bzw. Unteroffizieren in einer teilweise bis zu 5 Jahren andauernden Ausbildung an der Offiziershochschule Kamenz, der Militärtechnischen Schule Bad Düben und in speziellen Fällen im  Ausbildungsgeschwader Rothenburg. An der OHS gab es eine spezielle Sektion Ausländische Militärkader. Bei den LSK/LV wurden Jagdflugzeug-Piloten, Offiziere des Fliegeringenieurdienstes, Hubschrauber-Führer, Offiziere für das Luft-Nachrichten-wesen und für die Raketenluftabwehr ausgebildet, worüber die angeführte Kamenzer Publikation (siehe 9b) einen interessanten Gesamtüberblick über die Zeit von 1978 bis 1989 gibt. Militärstudenten aus Syrien, Libyen, Mocambique und der Koreanischen DVR erhielten hier Ausbildungshilfe. Sie machten einen maßgeblichen  Anteil an den insgesamt von der NVA ausgebildeten etwa  3000 Kadern aus 22 Staaten zwischen 1972 und 1990 aus. Unter speziellen Bedingungen der höchsten Geheimhaltung wurden 1989 im Ausbildungsgeschwader Rothenburg Piloten und in Bad Düben  Techniker aus Iran ausgebildet.


Storkmann beweist, daß die DDR für diese ihre solidarische Tätigkeit, die zum Teil durch den Militär-Außenhandel abgewickelt wurde, etwa 950 Mill. Mark aufbrachte. Viele Lieferungen wurden als Gratis-Hilfe realisiert. Was konsequent von der Partei- und Staatsführung - trotz vielfacher Bitten oder Forderungen - abgelehnt wurde, waren Einsätze von DDR-Kampfeinheiten oder von Kampfpiloten sowie die  Tätigkeit von NVA-Ausbildern „vor Ort“. Das traf auch auf eine Bitte Sambias 1979 zu, die Gesamtsicherung des sambischen Luftraum durch die DDR-Luftstreit-kräfte zu übernehmen. Gewisse Ausnahmen bildeten Einsätze von LSK-/Interflug-Gruppen in Äthiopien (Anti-Dürre- und Anti-Hungerkatastropheneinsätze) und in Bangladesh (Flüchtlings- umsiedlungen aus Ost- und West-Pakistan) sowie Flüge zur Evakuierung von DDR-Bürgern, die als zivile Entwicklungshelfer eingesetzt waren. An materieller Hilfe lieferte die DDR aus  den planmäßigen Umrüstungen und Modernisierungen der LSK/LV Jagdflugzeuge der Typen MiG-15, MiG-17 und MiG-21 verschiedener Versionen nebst Schulvarianten und Zubehör sowie Fla-Raketen-Komplexe an eine ganze Reihe von Ländern, z.B. an Ägypten nach der Zerschlagung seiner Luftstreitkräfte durch die israelische Luftwaffe 1967 und an Syrien. In der DDR wurde auch eine erhebliche Anzahl von Flugzeugen aus Entwicklungsländern technisch überholt.


Abgesehen davon, daß in der DDR-Zeit von den Überführungen von Flugzeugen - mit Ausnahme einiger weniger besonders „vergatterter“ beteiligter  Flugzeugführer - nahezu nichts bekannt war, wurde nach der „Wende“ unter Insidern heftigst gestritten, ob dies bei jeweils etwa 30 Maschinen

 a) durch DDR-Piloten staffelweise via Tschechoslowakei-Ungarn-Jugoslawien-Libyen-Ägypten  oder b) ab Flugzeugwerft Dresden mit ägyptischen Transportmaschinen oder c) durch Flüge von LSK-Piloten nach Belgrad erfolgte, um dort demontiert und auf sowjetische bzw. ägyptische Antonow-Transporter verladen und nach Kairo gebracht zu werden. Nach umfassenden Studien, darunter von Aufzeichnungen  von Generalmajor Oreschko (siehe 9c), Sektorenleiter im Militärbereich der Staatlichen Plankommission bzw. Chef der Verwaltung materielle Planung im Hauptstab des MfNV und Mitglied der für die sogenannte „Militärökonomische Integration“ zuständigen Ständigen Kommission für die Verteidigungsindustrie im RGW, vertritt der Rezensent heute die Auffassung, daß alle drei Varianten zu bestimmten Zeitpunkten praktiziert wurden, was unter den damaligen Umständen eine beachtenswürdige Leistung darstellte, jeder „spezielle Geheimnisträger“ jedoch nur von seinen eigenen Erlebnissen ausging.


Über solche Hilfslieferungen berichtet auch Minow (siehe 9d), der dabei auch auf bestimmte ökonomische Interessen  der DDR verweist. Er hebt auf Grund seiner langjährigen Tätigkeit im Stab der Warschauer Vertragsorganisation das große Interesse der DDR an der Koordinierung der militärischen Hilfeleistungen aller Mitgliedstaaten gegenüber der Dritten Welt hervor, das aber bei den anderen Partei- und Staatsführungen auf kein übermäßig großes Interesse stieß. Deshalb erließ der DDR-Verteidigungsminister Armeegeneral Hoffmann am 18.4.1980 die geheime bzw. sehr wenig bekannte „Ordnung über die Unterstützung befreundeter Entwicklungsländer und progressiver nationaler Befreiungsbewegungen auf dem Gebiet der politischen Arbeit, der Ausbildung von Militärkadern, der Lieferung von Kampftechnik, Bewaffnung und Ausrüstung, der militärtechnischen und militärökonomischen Zusammenarbeit sowie durch sonstige Leistungen durch das Ministerium für Nationale Verteidigung“.



Eine Jagdflieger-Karriere – aus heutiger persönlicher Sicht einer Piloten-Frau


Die Erzählung „Ostwind“ 10) trägt den von der Autorin gewählten Untertitel „Zwei Himmelsstürmer und ihre ganz persönlichen Katastrophen“. Es handelt sich dabei nicht um „große Literatur“, aber wenn schon -  dann eben um „kleine Literatur“, wie sie das Leben schreibt. Sie zeichnet sich  dadurch aus, daß sie geschrieben wurde aus ehrlichem Herzen und voller Erinnerungen an den gemeinsamen Traum vom Fliegen, das unumgängliche Durchstehvermögen, was man brauchte, um als Soldatenfrau mit Kindern im fernen Berlin während des fünfjährigen Wehr- und Studiendienstes des Mannes an der Offiziershochschule Kamenz, in Bautzen und in Rothenburg und danach gemeinsam am Standort des Jagdgeschwaders 8 in Marxwalde allen Anforderungen des Lebens gerecht zu werden. Dort versah der Mann als Pilot und zuletzt als Oberleutnant und Staffelsteuermann seinen Dienst. Komplizierend  kam hinzu, daß das Einleben am LSK/LV-Standort Marxwalde bereits in den ersten Tagen durch das schockierende persönliche Erlebnis eines tödlichen Absturzes zweier Flieger erschwert wurde (was es ja nach DDR-Lesart bei uns gar nicht gab!).


Mit einer beispiellosen Akkuratesse und ohne übermäßig zu klagen hat die Autorin aufgeschrieben, was das Leben vieler Offiziers- und speziell Pilotenfamilien ausmachte: ständige Erreichbarkeit und Bereitschaft im Diensthabenden System der Warschauer Vertragsstaaten mit allen Konsequenzen für die Familie, physisch-psychische Anforderungen höchsten Grades, ein Familienleben in einer ganz speziellen gesellschaftlichen Disziplin, manchmal auch „umflattert“ von unerwünschten Aktivitäten der „Verwaltung 2000“. Die Aufzeichnungen der Autorin wurden von den Verlagslektoren nicht geschönt oder aus irgendwelchen Gründen „geglättet“ . So haben wir eine Art urwüchsiges Hohelied auf die unbekannte Pilotenfrau vor uns, das so in der Zeit der DDR sicher nicht hätte erscheinen können. Das Jahr 1990 beendete diesen wichtigen Lebensabschnitt dieser Familie mit  dem bekannten abrupten gesellschaftlichen „Absturz“.



Weitere Einblicke in die „2. Waffengattung“ der Luftverteidigung


Wie im Literaturbericht vom vorigen Jahr angekündigt erschien kurz danach von Burghard Keuthe „Das Fla-Raketenregiment 13 'Etkar André' Parchim. Technik-Einsatz-Chronik-Erinne-rungen“ 11). Der Hauptautor, 21 Jahre in verschiedenen Funktionen und Dienststellungen der FRT, legt einen in Eigenredaktion und Eigenverlag entstandenen Band vor, der eine beispielhafte Fleißarbeit mit der klaren Zielstellung der objektiven Aufarbeitung einer ausgesprochen komplizierten Thematik darstellt, die - ergänzt durch eine reiche Bebilderung, diverse Skizzen und militär- technische Erläuterungen sowie ein umfassendes Literaturverzeichnis - von Interesse für den Fachspezialisten und in vielfacher Hinsicht auch für den interessierten Leser ist. Gegenstand der ausführlichen Darstellung des Bandes ist die einstmals (geheime) moderne Technik jener Zeit vor 1990, in diesem Falle der Fla-Raketen-Komplex S-75 „Wolchow“, wie er im Bestand des FRR 13 vorhanden war.


Eine informative Chronik schildert die Entwicklung von den Flak-Vorläufern bis zu den damals für die NVA modernsten Raketentypen (1962-1990), wobei der S-75 im Mittelpunkt steht. Das Parchimer Regiment war für die Absicherung des DDR-Nordwestens zuständig und wirkte im Rahmen des Diensthabenden Systems zusammen mit den Jagdfliegern der 3. Luftverteidigungs-Division und den Raketentruppen der GSSD. Der Band schildert in äußerst anschaulicher Weise sowohl den „normalen“ Dienst am Standort als auch Übungen und Manöver in der DDR und die Höhepunkte des Gefechtsschießens in der Sowjetunion. Das betrifft auch sowohl die technischen Daten als auch die Funktionsweise der Komplexe. Dies schafft die Möglichkeit der (eigentlich nicht mehr erforderlichen) Auffrischung für die ehemaligen „Raketschiki“, kann aber auch für den inter- essierten Laien ein höchst informativer „nach-sozialistischer“ Wissenserwerb sein, wobei besonders die Skizzen einen guten Dienst leisten. Das Ganze wird dadurch ermöglicht, daß es sich bei den Autoren um echte Fachleute mit gutem pädagogischen Geschick handelt.


Recht interessant sind auch die Schilderungen der wenig bekannten Fakten über die Mithilfe deutscher Raketenwissenschaftler an den Leitstationen des Komplex S-25 und den Bordsystemen der zugehörigen Raketen. Durch die Rückkehr eines Teiles dieser Wissenschaftler nach West- deutschland ab 1958 erhielten natürlich auch die USA Einblick in den Stand der sowjetischen Arbeiten und in für ihre eigene Forschung nützliche Fakten. Die Autoren schildern den Entwicklungsprozeß der Komplexe S-25, S-50, S-75 und deren Varianten „Dwina“, „Desna“ und „Wolchow“ mit stets weiterentwickelten Raketen. Eingegangen wird ausführlich auf die zwangs- weise technische Fortschritte erfordernden Ereignisse wie den Vietnam-Krieg, den U-2-Zwischenfall oder die Stationierung von amerikanischen Cruise Missiles in Europa. All dies führte zu immer fortgeschritteneren Kabinen, Startrampen, Transport- und Ladefahrzeugen, Aufklärungs- und Zielzuweisungsmitteln, Trainings- und Kontrollapparaturen, automatischen Führungssystemen und Raketen-Variationen bis zu S-300PMU.     


Der wissenschaftliche Teil wird ergänzt durch die persönlichen Erinnerungen von 38 ehemaligen Angehörigen des Regiments aller Dienstgradgruppen, die sich in 126 Beiträgen niedergeschlagen haben. Sie haben sich zum Traditionsverein „FRR 13“ („Gemeinschaft der 13er“) zusammen- geschlossen und treffen sich regelmäßig.


Die in Fachkreisen bekannten Autoren und „Rocketeers“ Bernd Biedermann, Jürgen Gebbert und Wolfgang Kerner legten einen aufsehenerregenden Titel „Der Fla-Raketenkomplex S-300PMU in der NVA. Geschichte und Geschichten“ 12) vor. Sowohl die drei Herausgeber als auch die 12 zum Teil mit mehreren Beiträgen beteiligten Autoren sind hochqualifizierte ehemalige Offiziere, die sämtlich auf die eine oder andere Weise mit dem seinerzeit modernsten  den Luftstreitkräften zur Verfügung stehenden Komplex S-300PMU zu tun hatten. Das Verständnis der kompliziert-spezifi-schen Materie wird dem Leser - zumal wenn er nicht komplett im Stoff steht – durch methodisch erleichtertes Sich-Hinein-Denken sowie durch eine Vielzahl von Fotos, Abbildungen und Skizzen erleichtert. Inhaltlich führt ein allgemeiner Überblick über die Entwicklung und Produktion sowjetischer Raketen-Komplexe zwischen 1945 und 1990 an die Geschichte des im Mittelpunkt des Buches stehenden Komplexes S-300PMU auf dem Territorium der DDR von 1987 und 1990 heran. Die FRA-4351 („Einheit Gebbert“) in Prangendorf/Retschow hatte auf Grund der bekannten politischen Entwicklung nur drei Jahre lang Gelegenheit, den neuen Komplex  personell, baumäßig, und technisch vorzubereiten, d.h. die Offiziere und Soldaten von August bis Dezember 1989 im sowjetischen Gatschina und anschließend zu Hause auszubilden, die neue Technik zu meistern und das erste (und einzige) Gefechtsschießen in Aschuluk zu absolvieren. Auch eine instruktiv-methodische Einführungskonferenz in Gatschina für die Verantwortlichen der Raketentruppen der Luftverteidigung der Länder des Warschauer Vertrags schuf gute Voraussetzungen. Gewaltiges wurde getan und bewältigt. Aber bereits im Herbst 1990 wurde angesichts der Auflösung der NVA die moderne Technik an die Sowjetarmee zurückgegeben.


In einem ausführlichen vorangestellten Kapitel begründen die Autoren die Notwendigkeit der seinerzeitigen Einführung der neuen Technik in Gestalt des Komplexes S-300 in der NVA aus dem Vergleich der Jäger, Jagdbomber, Marschflugkörper, strategischen Bomber und Aufklärer, Frühwarn- und Kontrollflugzeuge der USA und ihrer NATO-Verbündeten und der ihnen gegenüberstehenden  sowjetischen Technik. Die entsprechenden Typen werden in Bild und Text vorgestellt. Vor diesem Hintergrund wird der Komplex mit seinen taktisch-technischen Daten, seinen Bestandteilen und seiner Wirkungsweise als damals aller Wahrscheinlichkeit nach weltbeste und dem NATO-Modell „Patriot“ nachweislich überlegene Abwehrwaffe dargestellt.


Der Band folgt wie der oben behandelte Keuthe-Titel und das erwähnte Kamenz-Buch dem im Untertitel fixierten Schema „Geschichte und Geschichten“. Dort haben Zeitzeugen ihre Erinnerungen niedergeschrieben. In diesem Teil wird auch auf die viel diskutierte Frage eingegangen, wie es kommen konnte, daß dem einstmaligen (und heutigen) Gegner mehrere Exemplare des Komplexes  S-300PMU in die Hände geraten konnten (Verkauf durch Weißrußland an die USA, offenbar mit höchster russischer Zustimmung; Verkauf an Zypern und auf einem abenteuerlichen Weg an den NATO-Staat Griechenland).            



Ein Rückblick auf die Luftfahrtindustrie und auf die Zivilluftfahrt der DDR – einige historisch-militärische Gesichtspunkte


Auf Tagungen und Treffen ehemaliger Offiziere und Soldaten der LSK/LV zeigt sich oftmals in Debatten, daß zwischen der Entwicklung der Luftfahrtindustrie der DDR in den fünfziger und sechziger Jahren, der Zivilluftfahrt der DDR und den Luftstreitkräften vielerlei Bezugs- und Berührungspunkte bestehen. Manche Offiziere haben eine bestimmte Zeit in diesem Industriezweig praktisch gearbeitet und dabei später nutzbare Kenntnisse, Erkenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten erworben. Mitarbeiter dieses Wirtschaftszweiges traten den Luftstreitkräften bei und versahen dort ihren Dienst, z.T. nach Absolvierung der Offiziersschule/Offiziershochschule Kamenz. Bestimmte in Dresden gebaute Flugzeugtypen für die Zivilluftfahrt der DDR (Lufthansa der DDR, Interflug) . befanden sich auch im Bestand der LSK. Militärmaschinen für die LSK und für die Luftstreitkräfte befreundeter Staaten wurden in Dresden technisch überholt und wieder einsatzfähig gemacht. Diese Problematik bestärkte den Rezensenten in der Absicht, im diesjährigen Literaturbericht ein Kapitel über die Geschichte des Flugzeugbaus in der DDR aufzunehmen.


Von Reinhard Müller erschien „Brunolf Baade und die Luftfahrtindustrie der DDR. Die wahre Geschichte des Strahlverkehrsflugzeuges 152“ 13). Der Autor, selbst langjährig Flugzeug- mechaniker und Hochschullehrer für technische Mechanik, Thermodynamik und Turbostrahl- triebwerke an der Offiziershochschule der DDR-Luftstreitkräfte in Kamenz, liefert erstmalig eine sehr spezifische Darstellung des beruflichen Werdegangs und des Wirkens von Brunolf Baade als Generalkonstrukteur an der Spitze des DDR-Flugzeugbaus mit ca. 30000 Beschäftigten 1954-1961. Es ist ein unschätzbarer Verdienst Müllers, eine echte Würdigung Baades bei Junkers, nach 1945 zunächst in Dessau unter der Kuratel der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland, während des erzwungenen Aufenthalts in der Sowjetunion und danach als bekanntester Flugzeug-Konstrukteur in der DDR vorgenommen zu haben. Das schließt den Aufbau der Luftfahrtindustrie der DDR und die Entwicklung und das tragische Schicksal des in gewisser Hinsicht legendären Strahl-Verkehrsflugzeugs B-152 ein, dessen Entwicklungsarbeiten bereits während Baades Aufenthalt in der Sowjetunion begonnen hatten. In gewisser Hinsicht erwiesen sich die seinerzeitige  Demontage der Junkers-Werke in Dessau, die Mitnahme diverser technischer Unterlagen und die „Übersiedelung“ eines Teils des Forschungs- und Produktionspersonals (auch die Amerikaner hatten technisches Spitzenpersonal und wichtige technologische Unterlagen en masse beim Verlassen der Stadt Dessau und der Junkers-Werke nach dreimonatiger Besatzung mitgehen lassen!) nachträglich als Positivfaktor für die Aktivitäten in der DDR.  Baade verstand es, selbst Walter Ulbricht für sein Projekt zu begeistern, ohne ein realistisches Herangehen zu vernachlässigen. Bald wurde er zum Kandidaten des ZK gewählt. Konfrontiert mit den komplizierten politisch-wirtschaftlichen Bedingungen im Lande, aber auch den ernsthaften Differenzen zwischen der DDR-Führung und der sowjetischen Führung trat er unentwegt und unaufhaltsam ein für die Überwindung aller Schwierigkeiten. Der Autor untersucht auch die Hintergründe eines Stasi-Vorgangs gegen Baade und zahlreiche Entstellungen und Gerüchte, die sich um die Person Baades rankten, um sie im wesentlichen zu entkräften. An vielen davon waren das Vorgehen des Generalkonstrukteurs gegen unproduktive Strukturen, besetzt mit fachlich ungeeigneten Kadern, und die „Sprachregelung“ (besser: die Nicht-Sprachregelung!) der DDR-Staats- und Parteiführung und die verordnete „Sprachlosigkeit in Presse und Literatur“, gegenüber schwer zu begreifenden Haltungen der sowjetischen Organe, erst recht nach dem Abbruch des DDR-Flugzeugbaus 1962,  nicht ganz unschuldig.


Das Buch, das auch etwa 200 Fotos und diverse Zeichnungen sowie ein umfangreiches Literaturverzeichnis enthält, ist Resultat einer umfassenden und gewissenhaften Recherche von Dokumenten und Archivalien sowie einer Vielzahl von Gesprächen mit Zeitzeugen. Eine Zeittafel der deutschen zivilen und militärischen Luftfahrt, die auch die wenig bekannten konzeptionellen Vorstufen für einen Flugzeugbau in der DDR enthält, vermittelt dem Leser auf interessante Weise viele Zusammenhänge. Das erstreckt sich auch auf die völlig unzureichende vorbereitende Schaffung der erforderlichen wissenschaftlichen (besonders Dresden) und industriellen Einheiten (Pirna, Dresden-Klotsche, Dresden-Lommatsch, Chemnitz und Schkeuditz) und - nach Rückkehr von ca. 200 Spezialisten mit Baade aus der Sowjetunion – des qualifizierten Personalbestands. Zwischen dem Beginn der Arbeit an der B-152 und verschiedenen Folge-Varianten, dem Erstflug der 152V1 im Dezember 1958, einem Absturz im März 1959, der Flucht des Chefkonstrukteurs Freytag in den Westen und dem Beschluß des Politbüros der SED zur Einstellung des Flugzeugbaus im Februar 1961 lagen nur 5 ½ Jahre. Müller schildert die Entwicklungsstufen der Folgemodelle, die schrittweise Behebung aller technischen Schwächen und diverser Verbesserungen im Rahmen der nachzuholenden Innovation auf Grund der 12 Jahre langen Lücken. Neben dem Projekt 152 bauten Teile des großen Baade-Teams auch etwa 80 Maschinen Il-14P für die Sowjetunion und arbeiteten an anderen Projekten (Maschinen für die Mittelstrecke und für die Landwirtschaft sowie Klein- und Leichtmotorflugzeuge, Motorsegler und Segelflugzeuge). Vor dem Il-14P-Bau, der vornehmlich auch für die Heranbildung eines Facharbeiterstammes sowie die Ausbildung eigener Piloten genutzt wurde,  hatte es 1952/53 noch kurzfristig ein ökonomisch-technisch schwachsinniges Projekt gegeben, nach dem die DDR für die Sowjetunion und den eigenen Bedarf im großen Maßstab Militär-Strahlflugzeuge MiG-15 und andere Typen bauen sollte, wofür so ziemlich alle Voraussetzungen fehlten.


Der Autor analysiert exakt und umfassend-komplex die Haltung der DDR-Führung zum Projekt Luftfahrtindustrie/Baade. Obwohl die Idee – sowjetisch inspiriert – bereits während des Zwangsaufenthalts der deutschen Luftfahrt-Spezialisten in der UdSSR geboren wurde und eine gewisse beschlußmäßige Grundlage entstanden war, wurde institutionell keineswegs mit den sich daraus dringend ergebenden Vorbereitungen begonnen. Die daraus resultierende Situation mit all ihren Problemen und Schwierigkeiten unterzieht Müller mit der Kompetenz seiner eigenen Erfahrungen und seiner Qualifikation unter Nutzung der späteren selbstkritischen Feststellungen Baades einer umfassenden Analyse. Besonders wird dabei als globaler Hemmschuh die Besetzung der luftfahrt-relevanten staatlichen Leitungsorgane aller Ebenen mit Nicht-Fachleuten hervor- gehoben. So entstanden ausgesprochen unproduktive und uneffektive Fachstrukturen. Auch die sich borniert-dogmatisch gebenden , unberechtigten Stasi-Gremien innerhalb der Forschungs-, Produk- tions- und Praxis-Kollektive der Wissenschaftler und Mitarbeiter wirkten hemmend. Der „Vorgang Baade“ mußte eingestellt werden. Kritik übte Baade auch an der völlig unzureichenden Bereit- stellung erfahrener Piloten, für die Verteidigungsminister Stoph und der Chef der DDR-Luftstreitkräfte General Keßler verantwortlich zeichneten, was zu mahnenden Briefen Walter Ulbrichts an diese führte.


Der seinerzeitige ungeheuer beschleunigte Aufbau einer Flugzeugindustrie in der DDR erfolgte, wie die Archive heute beweisen, auf Drängen und auf Befehl der sowjetischen Führung. Die Festlegungen waren gekoppelt an feste zahlenmäßig bedeutende Abnahmequoten der sowjetischen Zivil- und Militär-Luftfahrt. Ende der fünfziger Jahre wurden diese Vereinbarungen sowjetischer- seits durch das Ministerium für die Luftfahrtindustrie (MAP), gestützt auf angebliche Entschei-

dungen des Rates für Gegenseitige Wirtschaftshilfe, unverständlicherweise - ohne nähere Erklärungen – gebrochen. Auch die von Baade angeforderten Dokumentationen aus der Zeit in der Sowjetunion, deren sofortige Übersendung seinerzeit zugesagt worden war, wurden erst nach Jahren, z.T. überhaupt nicht geliefert. Die zugesagte fachliche Hilfe in der DDR erfolgte nur eingeschränkt. Diese staatlich-egozentrische sowjetische Interessenwahrnehmung, die der DDR schwer schadete, führte seitens der Partei- und Staatsführung der DDR  leider nicht zu den entsprechenden  Protesten. Mit Ausnahme der Zulieferungen für die Il-14P - kein Ruhmesblatt sozialistischer Kooperation!


Der gleichen Materie widmet sich Holger Lorenz mit seinen beiden Publikationen „Die Variante I des DDR-Jets 'Baade 152'. Der Schulterschluß zwischen Walter Ulbricht und der heimgekehrten Junkers-Elite“ 14) und „Die Absturzursachen des DDR-Jets 'Baade 152'. Eine dialektische Synthese der Fehlerkette aus der Ursachen-Analyse objektiver Fehlentwick- lungen und subjektiven Fehlverhaltens“ 15). Über den Werdegang des Autors, der bereits eine ganze Reihe einschlägiger Publikationen über die B-152 veröffentlicht hat, ist leider nur bekannt, daß er Technik-Journalist ist. Angesichts seiner brillianten Kenntnisse, wie sie eigentlich nur ein am Prozeß der ständigen Veränderungen und ihrer Spezifika Mitwirkender auf diesem Fachgebiet haben kann, wüßte man gern mehr (auch der Verlag konnte dabei nicht behilflich sein). Die beiden vorliegenden Bände tragen nahezu Lehrbuchcharakter und gehen – auch mit den außerordentlich zahlreichen Fotos, Bildern, Skizzen und Schemata – in jeder Hinsicht sehr in die Details. Die Bände zeichnen sich durch Hochglanz-Ausführung und dennoch einen Preis von 19,90 € aus. Einerseits     

setzen beide hohen Sachverstand  und weitreichende Spezialkenntnisse voraus, sind aber für den allgemein luftfahrt-interessierten Laien gleichermaßen von Interesse.


Lorenz geht - im Vergleich zu Müller -  bei der Untersuchung der  gleichen Problematik einen etwas anderen Weg, um sich dem Thema B-152 zu nähern. Hier und da unterscheiden sich bestimmte Positionen in gewisser Nuance, obwohl sie sich auch in vieler Hinsicht geradezu ergänzen. Auch Lorenz stützt sich bei beiden Bänden auf eine mit Fleiß vorgenommene Quellenrecherche. Das Resultat sind zwei minutiös verfaßte Schilderungen aller Schritte und Teilschritte mit ihren vielen positiven, aber auch negativen, nicht zufriedenstellenden Resultaten. Lorenz tritt den Beweis für die These an, daß auf Grund des atemberaubenden Tempos der technischen Entwicklung von Flugzeugen in der behandelten Periode sich auch beispiellos erhöhte Anforderungen an die Entwicklungsbüros und die Konstruktion von Ausrüstungen ableiten. Demzufolge kam es unter Baade zur Entwicklung von mindestens drei Varianten der ursprünglichen B-152 mit wichtigen Unterschieden. Sichtbar wird das sowjetische „politische Experiment“, nach Mai 1945 durch Zusammenarbeit mit der technischen Intelligenz und dem Facharbeiterpotential des ehemaligen Gegners Wiedergutmachung und Dauernutzen für sich und die spätere DDR zu erreichen, wenngleich dieser Prozeß gewaltige Schwierigkeiten einschloß. Der Autor stellt eine große Gruppe der daran beteiligten deutschen Konstrukteure ausführlich vor. Sichtbar wird der Nutzen von Strahltriebwerk und Pfeilflügel als wichtige bei Junkers vorhandene Elemente bei der Entwicklung der Hochgeschwindigkeits-Aerodynamik.


Lorenz behandelt gut verständlich den technisch-historischen  Weg, der damit von der pfeilgeflügelten Ju-287 am Ende des 2. Weltkriegs und der EF-131 im SAG-Werk Dessau über die in der Sowjetunion entwickelte EF-151 führt, womit die Basis für die strategischen Bomber Tu-16 und M-4, aber auch wichtige Vorarbeiten für die B-152, geschaffen wurden. Trotz des zeitweise scheinbar bestehenden konstruktionsbedingten Typen-/Modell-Wirrwarrs (auch in der einschlägigen sowjetisch-russischen Literatur) begreift der Leser im wesentlichen die jeweiligen technischen Vorzüge und Schwächen. Lorenz behandelt ausführlich und detailliert auch Versuchsreihen und Großbauteilmontage sowie den Prozeß des Hallenausbaus in Dresden. Die Vorbereitung der Testpiloten erfolgte derweil auf einer Aeroflot-Schule auf der zivilen Tu-104 und der militärischen Il-28. Lorenz' Zitat: „Nirgendwo wird ja mehr gelogen und betrogen als im Flugzeugbau und bei den Leistungsdaten der Flugzeuge“ traf auch auf das erste Roll-out der B-152/V1 in Anwesenheit Walter Ulbrichts am 1. Mai 1958 zu, zu dem die Maschine noch nicht ganz komplett war (man könnte den Eindruck haben, daß dies auch heute noch auf den Bau von Großflugplätzen in Berlin-Brandenburg zutrifft!?).


Der 2. Band, dem noch Bände über die Varianten II und III der B-152, über dass seinerzeit in Angriff genommene Propellerturbinen-Flugzeug „Dresden-153 A“ und über die DDR-Variante der sowjetischen Iljuschin Il-14P folgen sollen, skizziert seinen Hauptgegenstand in dem ein wenig kompliziert gefaßten Untertitel „Eine dialektische Synthese der Fehlerkette aus der Ursachen-Analyse objektiver Fehlentwicklungen und subjektiven Fehlverhaltens“. Ausgangspunkt ist eine (heutzutage fast kaum noch anzutreffende) recht objektive Darstellung der Bemühungen der DDR-Führung und des Leitungsteams der jungen Luftfahrtindustrie um Brunolf Baade, eine hochwertige Luftfahrtindustrie in Ostdeutschland als Beitrag zu einer neuen gesellschaftlichen Ordnung zu schaffen, die eventuell auch als Positivum in eine damals denkbare deutsche Einheit eingebracht hätte werden können. Eine Art Vorbildwirkung auf die BRD war gewollt. Dafür wurden 520 Mill. Mark innerhalb einer relativ kurzen Zeit in eine ausschließlich zivil orientierte Luftfahrtindustrie, in ihre technische Ausrüstung investiert sowie 780 Mill. Mark für die Zulieferindustrie und anfänglich für Personalkosten. Ziel sollte eine sich selbst tragende Luftfahrtindustrie sein, die gleichzeitig die anderen Industriezweige technologisch befruchten sollte.


Die DDR fügte sich sowjetisch inspirierten Spezialisierungs-Beschlüssen im Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW), wonach die UdSSR Langstrecken-Flugzeuge, die DDR Mittelstrecken-Maschinen und Polen und die Tschechoslowakei Kleinflugzeuge für das Bündnis und gegebenen- falls für den Export in andere Devisenländer bauen sollten. Dafür verzichtete die DDR auf den Fahrzeugbau, die Produktion schwerer LKW, Busse und Straßenbahnen sowie auf die Herstellung von großen Drehmaschinen und von Tonbandgeräten. Die Sowjetunion garantierte vertraglich die Abnahme einer hohen Zahl  von Flugzeugen aus der Dresdner Werft. Leider erwies sich der sowjetische Partner in der Frage der Zulieferungen und besonders der Abnahme von Flugzeugen als absolut unzuverlässig und erklärte plötzlich, sich militärisch und zivil mit eigenen inzwischen entwickelten Flugzeugen aller Kategorien zu versorgen. Auch ein dringlicher Appell Walter Ulbrichts an Chruschtschow bewirkte keine Änderung, was eine schlimme Situation für den DDR-Flugzeugbau bedeutete.


In der so entstandenen ausgesprochen katastrophalen Situation kam es im März 1959 zum Absturz der B-152V1, dessen Hintergründe und Geheimnisse der Autor zu lüften verspricht. Lorenz schildert minitiös die Details der Ursachensuche, für die von der obersten staatlichen Führung lediglich eine Woche eingeräumt wurde und die leider nicht von einer unabhängigen Kommission durchgeführt wurde. Die Ergebnisse kamen unter „Dauer-Vollverschluß“. Der Autor sieht den Beginn der von ihm angekündigten „Fehlerkette“  im „sozialistischen Voluntarismus“ des Systems. Er konstatiert einen Widerspruch zwischen dem notwendigen vorausschauenden Denken in großen Zusammenhängen und der Struktur der staatlichen Entscheidungsbefugnisse. Dazu zählt er auch den massiven „Zeitdruck“ auf die sich aus Probeläufen und Versuchen ergebenden notwendigen Veränderungen und Verbesserungen an Einzelteilen. Er erwähnt die „Großzügigkeit“ der unter dem Druck von Ulbricht und von Baade erteilten Genehmigung, einen Demonstrationsflug in geringer Höhe über dem Leipziger Messegelände in Anwesenheit Chruschtschows durchzuführen, obwohl noch eine ganze Reihe obligatorischer Meß- und Kontrollmaßnahmen ausstand. Hierbei soll es persönliche „Regelungen“ Baades gegeben haben. Angeblich sollte der Flug die sowjetische Seite umstimmen und zur Abstandnahme von ihrer Nicht-Abnahme-Entscheidung für DDR-Maschinen führen. Fehler macht Lorenz in einer ganzen Reihe von Zusammenhängen aus. So seien absolut notwendige Investitionen in die Hauptabteilung Flugerprobung sträflich unterschätzt worden und nicht erfolgt. Das Erprobungsprogramm für die betreffende Maschine vor dem Start sei nicht voll erfüllt worden. Versuchstechnik und Erprobungsträger-Maschinen seien unzureichend beschafft worden. Die Flugstunden des an sich erfahrenen Pilotenpersonals auf diesem spezifischen Typ seien zu gering gewesen.  Lorenz konstatiert auf Grund seiner Untersuchungen: das Vorkommnis hätte vermieden werden können, a) wenn sich Generalkonstrukteur Baade, der Leitende Pilot Willi Lehmann und die Vertreter der Hauptabteilung Zivile Luftfahrt (HAZL) und der Prüfstelle für Luftfahrt (PfL) an die in der DDR geltende Gesetzlichkeit gehalten hätten; b) wenn sich beide Piloten strikt an den Flugauftrag gehalten hätten.


In den Rahmen dieser Darlegungen paßt auch die  Publikation „Überflieger. Festschrift zum 'Jahr der Luft- und Raumfahrt Sachsen-Anhalt'“ 16), die sich mit dem luftfahrt-trächtigen Raum Magdeburg/Dessau beschäftigt. Hier absolvierte Hans Grade 1908 seinen ersten Motorflug, startete unter Rudolf Nebel 1933 die erste Flüssigkeitsrakete (ursprünglich bemannt geplant), wurde das Düsentriebwerk RT0 (später nach Weiterentwicklung als „Pirna 014“ bekannt) entwickelt, absolvierte 1942 der Düsen-Jäger Me-262 seinen Erstflug erfolgreich und leisteten die Junkers-Werke in Magdeburg und Dessau vor, während und nach dem Krieg technisch Hervorragendes für die Luftfahrt-Forschung. Viele Arbeitsergebnisse gingen später in sowjetische und DDR-Flugtechnik (B-152, „Pirna 014“ u.a.) ein. Die DDR bildetet lange Zeit im Standort Dessau ihre Transportfliegerkräfte aus. Hier wird heute Tradition groß geschrieben. Der Rezensent konnte sich erst kürzlich bei einer Veranstaltung in Dessau vom Enthusiasmus Hunderter ehemaliger Flieger und Luftfahrt-Interessenten überzeugen, die sich um das Technik-Museum Dessau und den Verein Junkerswerk Magdeburg gruppieren. Die Broschüre spiegelt diese technisch-historische und militärhistorische Situation hervorragend wider.      


Von Interesse sind in diesem Zusammenhang auch die Bundesarchivmaterialien „Von der Deutschen Lufthansa der DDR zur Interflug GmbH. Die Anfänge der zivilen Luftfahrt in der DDR. Bundesarchiv, Abt. DDR, Berlin 2011 (Material zu einer Ausstellung im Rathaus Schönefeld 2011)“ 17). Es handelt sich dabei aus luftfahrt-historischer Sicht um interessante Materialien der Interflug GmbH, des DDR-Ministerrats, der Staatlichen Plankommission, des Ministeriums für Verkehrswesen, des Ministeriums für Post- und Fernmeldewesen sowie den Nachlaß Arthur Piecks, des langjährigen Hauptdirektors der DDR-Lufthansa/Interflug, und Plakate, Fotos und Bücher.   


Ausblick


Mit folgenden Titeln kann wahrscheinlich in nächster Zeit gerechnet werden:


1.   ein Buch über die Funktechnischen Truppen der LSK/LV (evtl. Herbst 2012);

2.   ein Buch über das Transport-Geschwader 44 / „Die Regierungsflieger“ (evtl. Jahresende 2012);

3.   ein Buch über die Fliegerkräfte der LSK/LV (evtl. Ende 2013).


Rezensierte Literatur


  1. Behrendt, Jan/Schalz, Daniel (Hrsgb.): Ende/Neuanfang. Die deutschen Luftstreitkräfte in der Wiedervereinigung. Katalog zur Sonderausstellung auf dem Flugplatz Berlin-Gatow, Veröffentlichungen des Luftwaffenmuseums, Band 9, Berlin 2011, 128 S.       
  2. MiG-29 über Deutschland. 33. Sowjetisches Jagdfliegergeschwader Wittstock 1990, DVD Sanssouci Film GmbH (Ausgabe 2011)
  3. Fliegerblatt. Gemeinschaft der Flieger deutscher Streitkräfte e.V., Köln, Jg.2011 ,
  4. Normann, Michael: Kampfflugzeuge der DDR 1956-1990 – Typenkompass. Motorbuch Verlag, Stuttgart 2010, 128 S.
  5. Normann, Michael: Transporter und Hubschrauber der DDR 1956-1990 – Typenkompass. Motorbuch Verlag, Stuttgart 2011, 128 S.
  6. Bußmann, Thomas: Stahlbeton, Gras und Bahnbefeuerung. Die militärisch genutzten Flugplätze der DDR. Mediascript GbR, Berlin/Cottbus 2011, 272 S.
  7. Hasselbach, Anne: Fliegertreffen zum Jubiläum „100 Jahre Fliegen in Kamenz“ - Fotoimpressionen (25./26. 3.2011). Eigenverlag, Kamenz 2011
  8. Krönert, Günter: Hubschrauber im Einsatz. Militärverlag, Berlin 2011, 256 S.
  9. Storkmann, Klaus: Geheime Solidarität. Militärbeziehungen und Militärhilfen der DDR in die Dritte Welt, Links Verlag, Berlin 2012, 704 S.;
  10. Begeisterung - Enttäuschung - Selbstvertrauen. Offiziershochschule der Luftstreitkräfte/Luftverteidigung „Franz Mehring“. Geschichte und Geschichten. Verlag Aeroshop Flugbedarf Pirzkall GmbH, Kamenz 2011, 306 S. (bereits im vorjährigen Literaturbericht behandelt);
  11. Oreschko, Johannes: Im Kalten Krieg. Ein General der Nationalen Volksarmee erinnert sich. Verlag am Park, Berlin 2011, 244 S.;
  12. Minow, Fritz: Die NVA und Volksmarine in den Vereinten Streitkräften. Geheimnisse der Warschauer Vertragsorganisation. Steffen Verlag, Friedland 2011, 472 S.
  13. Böckmann, Michaela: Ostwind. AAVAA Verlag, Berlin 2011, 188 S.
  14. Keuthe, Burghard: Das Fla-Raketen-Regiment 13 „Etkar André“ Parchim. Technik-Einsatz-Chronik-Erinnerungen. Eigenverlag, Wulfsahl 2011, 344 S.
  15. Biedermann, Bernd/Gebbert, Jürgen/Kerner, Wolfgang: Der Fla-Raketenkomplex S-300PMU in der NVA. Geschichte und Geschichten. Steffen Verlag, Friedland 2012, 224 S.
  16. Müller, Reinhard: Brunolf Baade und die Luftfahrtindustrie der DDR. Die wahre Geschichte des Strahlverkehrsflugzeuges 152. Sutton Verlag, Erfurt 2010, 448 S.
  17. Lorenz, Holger: Die Variante I des DDR-Jets „Baade 152“. Der Schulterschluß zwischen Walter Ulbricht und der heimgekehrten Junkers-Elite. hollipress Eigenverlag 2010, 136 S.
  18. Lorenz, Holger: Die Absturzursachen des DDR-Jets „Baade 152“. Eine dialektische Synthese der Fehlerkette aus der Ursachen-Analyse objektiver Fehlentwicklungen und subjektiven Fehlverhaltens. Eigenverlag 2011, 136 S.
  19. Überflieger. Festschrift zum „Jahr der Luft- und Raumfahrt Sachsen-Anhalt“.  megalearn MEDIEN GmbH, Magdeburg 2009, 152 S. (Nachausgabe 2011)
  20. Von der Deutschen Lufthansa der DDR zur Interflug GmbH. Die Anfänge der zivilen Luftfahrt in der DDR. Bundesarchiv, Abt. DDR, Berlin 2011 (Material zur Ausstellung im Rathaus Schönefeld 2011)