Prof. Dr. Walter Hundt, Fichtenwalde


Erschienen in: WeltTrends H. 19, Sommer 1998, S. 177-179


Hans-Georg Schleicher, Die DDR im südlichen Afrika. Solidarität und Kalter Krieg, Arbeiten aus dem Institut für Afrika-Kunde, Bd. 97, Hamburg 1997, 294 S., ISBN 3- 928049-46-1

Das Wirken der DDR im südlichen Afrika, ihre Zusammenarbeit mit den Befreiungsbewegun­gen und ihre Afrika-Politik generell gegenüber dieser Region in den Jahren zwischen 1960 und 1990 stellen eine historische Größe dar, die von Freund und Feind dieses zweiten deut­schen Staates in jenen Jahren nicht übersehen werden kann, wenn man zu einem historischen und weltpolitisch objektiven Bild gelangen will.

Die Autoren behandeln das Ringen um die Unabhängigkeit Südafrikas, Simbabwes und Namibias und die Zusammenarbeit der DDR und ihrer entsprechenden Institutionen mit dem African National Congress (ANC), der Zimbabwe African People’s Union (ZAPU) - partiell auch der Zimbabwe African National Union (ZANU) - und der South West African People’s Organisation (SWAPO) sowie die zivile und militärische Unterstützung. Dem Leser wird eine akribische Fleißarbeit vorgelegt, die das Resultat der Verwertung eigener praktischer Erfahrungen und Erlebnisse aus dem diplomatischen Dienst der DDR, eines tiefgründigen Materialstudiums der Bestände der Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv (Politbüro und ZK der SED, Außenministerium, Verteidigungs­ministerium, Ministerium für Staatssicherheit, Solidaritätskomitee, Massenorganisationen etc.) und von mehr als 50 Interviews mit führenden Politikern Südafrikas, Simbabwes und Namibias sowie ehemaligen Funktionsträgern der DDR ist.

Die Verfasser machen den überaus hohen Stellenwert der Solidarität der DDR und gro­ßer Teile ihrer Bevölkerung mit den Befreiungsbewegungen Südafrikas, Simbabwes und Namibias deutlich, womit auch die These von der „verordneten Solidarität“ - bei aller not­wendigen Relativierung und Differenzierung - ad absurdum geführt wird. Dabei wird auch die Kluft zwischen erklärtem politischen Willen der DDR und den begrenzten wirtschaftli­chen Möglichkeiten sichtbar. Bei der Darstellung der „Instrumentalisierung“ der Solidarität der DDR im Kalten Krieg, die unbestritten ist, kommt dem Insider der Gedanke, daß es aus­gesprochen interessant sein könnte, ein westdeutsches Gegenstück zum vorliegenden Band zu verfassen, also „Die (alte) BRD im südlichen Afrika (1960 bis 1990)“. Adäquates liegt bisher in gleicher Qualität nicht vor. Die von den Autoren immer wieder erwähnten Charak­teristika von DDR-Afrikapolitik - also ihr festes Eingeordnet-Sein in die von der Partei ab­gesteckten politisch-ideologischen Rahmenbedingungen mit all den Folgen und Tücken - sind vollauf berechtigt, wirken allerdings eben wegen der vielmaligen Wiederholung manch­mal etwas gequält.

Außerordentlich gut gelingt es den Autoren - im Gegensatz zu vielen anderen, die sich an dieser Materie versucht haben -, die dialektischen Wechselbeziehungen zwischen der Rolle der DDR als Juniorpartner der Sowjetunion im allgemeinen und in Afrika im besonderen einerseits und dem nicht zu unterschätzenden eigenen Handlungsspielraum der DDR im öst­lichen Bündnis andererseits herauszuarbeiten. Zu dieser relativen Eigenständigkeit der DDR­Afrikapolitik trugen nicht zuletzt die spezifischen Beziehungen zu den afrikanischen Befrei­ungsbewegungen bei. Negativbeispiele wie das Dilemma der quasi gescheiterten Beziehun­gen mit der ZANU widerlegen diese grundsätzliche Aussage keineswegs. Zu Recht stellen die Verfasser fest: „Solidarität mit den Befreiungsbewegungen war ein Teil der ‘realsozia­listischen’ Gesellschaft in der DDR - ihrer Leistungen wie ihrer Konflikte und gravierenden Defizite - und kann nur in diesem Kontex verstanden werden. Sie war facettenreicher und lebendiger, aber auch widersprüchlicher und problemreicher als seinerzeit in der Propanganda dargestellt.“ Relativ ausführlich wird ein früher oft ausgespartes Kapitel dieser Beziehungen behandelt: nämlich die „nichtzivile“ Zusammenarbeit, besonders die Ausbildung auf militä­rischem und sicherheitspolitischem Gebiet, die auf relativ frühzeitige Wünsche der Befrei­ungsorganisationen in der DDR erfolgte. Sie nahm zweifelsohne einen herausragenden Platz ein und erzielte nachhaltige Wirkung bei der Unterstützung des bewaffneten Befreiungs­kampfes. Die überaus hohe Wertschätzung der DDR-Solidarität im allgemeinen und auch ihrer militärischen bzw. militärtechnischen Unterstützung findet ihren Niederschlag ganz besonders auch in den von den Schleichers durchgeführten Interviews mit Politikern aus dem südlichen Afrika.

Im Kapitel über Südafrika werden zunächst knapp die Grundlagen der Beziehungen zur Kommunistischen Partei Südafrikas und zum ANC behandelt. Herausgearbeitet wird - für den Rezensenten, obwohl selbst jahrzehntelang mit der afrikanischen Entwicklung befaßt, mit vielen für ihn neuen Aspekten - die lange andauernde Diskussion über die Haltung der DDR zur Frage der Sanktionen gegen das seinerzeitige südafrikanische Regime, die oft über­sehene deutliche Widersprüche zwischen Außenpolitik und Außenhandelsinteressen zum Ausdruck bringt. Gerade die „schwere Geburt“ einer mit den oft erklärten Grundsatzpositionen in Übereinstimmung stehenden Haltung der DDR war Gegenstand heftiger Kritiken von Seiten der südafrikanischen Befreiungsorganisation ANC und auch der Kommunistischen Partei. Auch eine Reihe von Inkonsequenzen in der Frage eines international wirkungsvollen akti­ven Agierens für die Befreiung inhaftierter Führer wie Nelson Mandela und Abram Fischer in frühen Jahren werden hervorgehoben. Vielfach wurde Zögern auf der DDR-Seite „wettge­macht“ durch massive Entlarvungskampagnen gegen die Zusammenarbeit zwischen der BRD und dem Apartheidregime, die zweifelsohne im Kern berechtigt waren, nicht selten aber als „Ausgleich“ für Zurückhaltung oder Unvermögen einer klaren Position herhalten mußten. Interessante neue Fakten vermitteln die Abschnitte über die Herausgabe der Publikationsor­gane „Sechaba“ und „The African Communist“ in der DDR, die nachweislich zu Mobi­lisierungsinstrumenten im Befreiungskampf wurden. Das gilt auch für die Ausrüstungs- und Ausbildungshilfe durch Organe der NVA, der Volkspolizei und der Staatssicherheit.

Das Simbabwe-Kapitel leiten die Autoren mit einem Prolog ein, der die seinerzeit (1979) nur wenigen bekannt gewordene Versorgung der ZAPU und ihrer bewaffneten Kräfte in Sambia bzw. im Grenzgebiet über eine Luftbrücke von Angola nach Sambia, die von Piloten der NVA und der Interflug unter Einsatz ihres Lebens und z. T. unter Kampfbedingungen geflogen wurde, beinhaltet. Die Verfasser behandeln die Entwicklung der DDR-Beziehun­gen zu den südrhodesischen (simbabweschen) Befreiungskräften vor dem Hintergrund der Entwicklung des Südrhodesienkonflikts und des Kampfes gegen das Smith-Regime und sei­ne Marionettennachfolger, der damals die ganze Welt bewegte. Verdeutlicht wird der unge­wöhnlich hohe Stellenwert, der den Beziehungen zur ZAPU in der DDR eingeräumt wurde und der die Autoren von „Beziehungen neuer Qualität“ sprechen läßt.

Nicht uninteressant die Darlegung des Einflusses der sowjetisch-chinesischen Diskre­panzen auf die Beziehungsgestaltung und die damit weitgehend im Zusammenhang stehen­den gespannten, eigentlich nie richtig zum Tragen gekommenen Beziehungen der DDR mit der zweiten Befreiungsorganisation ZANU, die als prochinesisch galt, was die DDR-Füh­rung bis zuletzt zu zahlreichen Fehlbeurteilungen und groben taktischen Fehlern verleitete (z. B. die Brüskierung Mugabes 1979 durch Honecker und Axen im Mocambique u. a. M.), die bis in die Zeit nach der Unabhängigkeit Simbabwes spürbar waren und lange keine diplo­matischen Beziehungen zwischen beiden Staaten zustande kommen ließen.

Das Namibia-Kapitel setzt bei den beiden unterschiedlichen Traditionslinien hinsicht­lich der deutsch-namibischen (südwestafrikanischen) Beziehungen ein. Behandelt werden danach die Genesis der DDR-Haltung zum Unabhängigkeitsplan der UNO (Resolution 435) und die Gründe für eine spürbare Intensivierung der Zusammenarbeit der DDR mit der SWAPO in den 70er Jahren. Besonders ausführlich wird die Struktur der materiellen und personellen Solidarität untersucht, sowohl in den SWAPO-Camps und in den von der SWAPO in Angola betriebenen Produktionsstätten als auch in der DDR (Verwundetenfürsorge, Be­rufsausbildung, Einrichtungen der Volksbildung u. a. m.). Auch gegenüber der SWAPO spielte auf deren Wunsch waffentechnische und Ausbildungshilfe eine ganz besondere Rolle. Auch die Parteibeziehungen SED-SWAPO werden ausführlich analysiert.

Dem beispielhaft faktenreichen Band ist eine 40 Seiten lange zusammenfassende „Chro­nik der Beziehungen der DDR zu Befreiungsbewegungen Südafrikas, Simbabwes und Na­mibias“ beigegeben. Namensindex, Abkürzungsverzeichnis, Quellen- und Literaturverzeichnis einschließlich einer ausführlichen Aufstellung der zahlreichen durchgeführten Interviews runden den interessanten Band ab. Dem Buch ist bei Spezialisten, aber auch beim damals involvierten „Normalbürger“ der DDR ein großer Leserkreis zu wünschen.