Oberst a.D. Walter Hundt , Fichtenwalde


Erschienen - geringfügig gekürzt - in:- : WeltTrends, Nr. 78, Mai/Juni 2011, S. 122-123


Froh, Klaus  (2010): Chronik der NVA, der Grenztruppen und der Zivilverteidigung der DDR 1956-1990, Berlin, Verlag Dr. Köster 2010, 778 S.


Armee ohne Krieg


Der Autor ist dem Insider bekannt als versierter Militärhistoriker in der DDR und als hervorragender Chronist von Truppenteilen und Verbänden der NVA nach der Wende. Gemeinsam mit R. Wenzke gab er die inzwischen 5. Auflage von „Die Generale und Admirale der NVA. Ein biographisches Handbuch“ heraus. Die nunmehr vorliegende Chronik ist Ergebnis einer vierjährigen beispielhaften wissenschaftlich-akribischen Fleißarbeit in Archiven und im Zusammenwirken mit ungezählten Zeitzeugen. Mühevoll wurde ein unvorstellbarer Faktenreichtum erschlossen.

 

Der Band findet großes Interesse bei Militärhistorikern und anderen Interessenten, nicht minder auch bei Forschern und Nutzern des Fachgebiets Internationale Beziehungen durch die (meiner Meinung nach erstmalige) Einbeziehung des Komplexes Warschauer Pakt / Tagungen und Beschlüsse des Politisch Beratenden Ausschusses, des Komitees der Verteidigungsminister und des Militärrates des Oberkommandierenden der Vereinigten Streitkräfte des Warschauer Paktes. Dabei geht der Autor über das „gemäßigt konkrete“ deklarative Maß der Veröffentlichungen in der DDR weit hinaus, das die Forschung in der sozialistischen Zeit stets an die Grenzen der Geheimhaltung stoßen ließ, und praktiziert nunmehr eine inhaltlich-konkrete und umfassend-komplexe Auswertung und Darlegung des Aktenmaterials. Damit trägt er der Tatsache Rechnung, daß die NVA von Anfang an eine Koalitionsarmee war, integriert in das Warschauer Bündnissystem. Die Chronik läßt anschaulich den Verteidigungscharakter der ostdeutschen Streitkräfte sichtbar werden, die bekanntlich die einzige deutsche Armee war, die keinen Krieg geführt hat. Die Spezifik ihrer Entwicklung unter den Bedingungen des Kalten Krieges im allgemeinen und der sich durch eine besonders massive Konzentriertheit im Herzen Europas ergebenden fast einmaligen Situation im besonderen wird dabei deutlich.


Die Konzentrierung der Untersuchung auf die oft übersehene Gesamtpalette von Nationaler Volksarmee mit ihren Teilstreitkräften (Landstreitkräfte, Luftstreitkräfte-Luftverteidigung, Volksmarine), Grenztruppen und Zivilverteidigung - sämtlich dem Ministerium für Nationale Verteidigung unterstellt - und auf den präzise umrissenen  Zeitspiegel 1956 (Gründung der NVA; Unterlassung der Behandlung der „Vorläufer“) bis 1990 (einschließlich der Bemühungen um eine Militärreform; sogenannte „Zusammenführung zweier Armeen“, also quasi offizielle Auflösung des MfNV und seiner unterstellten Organe) garantieren eine tiefgründige Darstellung der Fakten, die die  Chronik ausmachen, bei der es dem eingeweihten Leser kaum gelingen wird, unverzeihliche Lücken oder Auslassungen zu entdecken.


Die inhaltlichen Schwerpunktfelder werden auf eindrucksvolle Weise nebeneinander, aber gleichzeitig einander komplementär ergänzend abgehandelt. Diese erstrecken sich auf  Fragen der Organisation und Struktur (einschließlich des Systems der armeeeigenen akademischen und Hochschuleinrichtungen), Bewaffnung und Ausrüstung, qualitative und quantitative Entwicklungsprozesse,  Standorte, Übungen und Manöver, den  Kommandeursbestand vom Truppenteil aufwärts sowie den soldatischen Alltag bis hin zu kulturellen Aktivitäten und Ereignissen. Militärische, militärpolitische, militärtechnische, ideologische, kulturell-sportliche und andere Ereignisse finden den für eine Chronik diesen Ausmaßes angemessenen Platz. Als ein bisher nie angepacktes (oder in der DDR nicht gewolltes) Grundprinzip der Darstellung sind die weitgehende Personalisie-rung und Lokalisierung anzusehen. Allein deren Aufarbeitung läßt ein besonders schwieriges Unterfangen auf dem Wege der Vorlage dieses Werkes vermuten.


Ein umfangreiches Sachregister, ein Namensverzeichnis, ein Abkürzungsverzeichnis (in der militärischen Literatur unumgäng-lich!) und ein Verzeichnis der Traditionsnamen von Kasernen, Einheiten und Truppenteilen sowie Schiffen erleichtern das Nachschlagen,  Auffinden und das Studium für den Nutzer und Leser.