Prof. em. Dr. habil. Walter Hundt, Fichtenwalde/Brandenburg


(ehem. Direktor des Brandenburgischen Entwicklungspolitischen Instituts/BEPI und Leiter der World-University-Service-Außenstelle für die Neuen Bundesländer)


Grußbotschaft und Rede zum Festakt anläßlich des 60. Jahrestages der Gründung des World University Service (Deutsches Komitee) am 26.11.2010 in der Universität Mainz


Auch meine Freunde und ich persönlich beglückwünschen das Deutsche Komitee des World University Service (WUS) zum 60. Jahrestag seiner Gründung. Wir - das sind die einstigen Mitarbeiter des Brandenburgischen Entwicklungspolitischen Instituts in Potsdam, das im Verlauf seines Werde-gangs bereits als Projekt „Brandenburg in der Dritten Welt“ strukturell mit der damaligen WUS-Informationsstelle „Bildungauftrag Nord-Süd“ für die Neuen Bundesländer verknüpft war, seine ungezählten „Anhänger“, Fans und Mitglieder des Trägervereins in Brandenburg und in ganz Ostdeutschland in den Jahren nach der Wende.

Als Kambiz Ghawami als damaliger und heutiger Geschäftsführender Vorsitzender des WUS Deutschland unmittelbar nach der Wende bei uns zum ersten Mal in Erscheinung trat, befand sich BEPI als eine Art Landeszentrum der brandenburgischen entwicklungspolitisch Tätigen und Interessierten, das bald über die Landesgrenzen hinweg zu wirken begann, in einem politisch komplizierten Prozeß des konstruktiv-kritischen Prüfens und des selbstkritischen Bewertens des zuvor Geleisteten, des Ringens um den Erhalt des Positiven und gleichzeitig der intensiven Versuche, das Neue zu meistern. Wir mußten lernen, mit der „spezifischen Art“ westdeutscher Hilfe in Gestalt der NROs, aber auch der zahlreichen neuen Beamten zurechtzukommen. Waren wir doch täglich gezwungen, zu differenzieren zwischen idiotisch-wichtigtuerischen Schwätzern und intrigantischen Saboteuren unserer Arbeit und auf der anderen Seite tatkräftigen, ideengeladenen Helfern, die im Laufe der Zeit zu guten Freunden wurden. Dafür stehen für mich in erster Linie und unbeirrt über die vielen Jahre die Namen Kambiz Ghawami vom WUS aus Wiesbaden und stets in Aktionseinheit mit ihm der Senatsrat und NRO-Initiator Gunther Hilliges aus Bremen. Ihnen ver-dankten wir viel Sachlich-Reales, aber auch viel Ideelles, mehrfach auch existenzsicherndes Finanzielles.

So nahm der Begriff WUS bei uns Gestalt an. Und bald wurden die Begriffe BEPI / WUS-Außenstelle im Osten, in Brandenburg und in den anderen nunmehr Neuen Bundesländern zum Synonym für eine entwicklungspolitische Idee, die half, gesteckte Ziele zu erreichen und nicht zuletzt mit unserer Hilfe an das ab und an dafür erforderliche Geld zu gelangen, wie der „Westen“ uns das lehrte. Wir lernten WUS kennen als eine Institution, deren Vertreter ohne viel zu reden vieles auslösten und durchführen halfen, viele unterstützte und viel bewegte. WUS war für uns ein großer Name mit großem Anliegen, umgesetzt nicht allein durch große Aktivitäten wie bundesweite Konferenzen, Kampagnen oder Wanderausstellungen, sondern auch durch ungezählte kleine Aufgabenstellungen und hauptamtliche, aber noch viel mehr ehrenamtliche Mitarbeiter.

Nicht zuletzt hing das vielleicht - oder besser ganz sicher - auch mit seinem langjährigen „Chef“ und den von ihm  geprägten kleinen Apparat in Wiesbaden mit fleißigen und zuverlässigen Mitarbeitern zusammen. Er selbst wußte fast immer einen Ausweg und war auch Mitglied und geschätzter Berater des Redaktionsbeirates unseres beliebten Periodikums „Brandenburgische Entwicklungspolitische Hefte“.

Bei WUS waren „Ossis“ von Anfang an gleichberechtigte, erwünschte Partner – eine Haltung, wie ich sie persönlich in jener Zeit nur noch bei Transparency International und im Interdisziplinären Arbeitskreis für Entwicklungsländerforschung der deutschsprachigen Länder kennengelernt habe. So wurde WUS eine Nichtregierungsorganisation, für die wir gern tätig waren und – so glaube ich zurückblickend – die uns mehrfach ohne Getöse half zu überleben und voller Idealismus und Optimismus, oft ohne finanziellen „Schmierstoff“, die uns gestellten WUS- und BEPI-Aufgaben zu lösen.

Geboren worden war die Idee dieses im Ergebnis so erfolgreichen gemeinsamen Unternehmens übrigens fast auf kuriose Weise. Am 27.03.1993 gab es in der Evangelischen Akademie Iserlohn, wo Ghawami, Hilliges und ich zu einer Veranstaltung weilten, einen „Parkspaziergang“ von Gunther und mir, bei dem wir über eine eventuelle Hilfe für uns nachdachten. Gunther entwarf die Skizze einer Außenstelle der Koordinierungsstelle „Nord-Süd im Bildungsbereich“ des WUS für die Neuen Bundesländer, die auf der Grundlage des bestehenden Projekts „Brandenburg in der Dritten Welt“ tätig werden und auf der Basis des Kölner Bildungskongresses von 1991 arbeiten und dafür eine halbe technische Vernetzungsstelle erhalten sollte. Über drei Jahre sollte so ein WUS-Ostprogramm gefahren werden. Kambiz Ghawami erklärte sich bereit, diese Idee umzusetzen, wenn das Brandenburger Wissenschaftsministerium weiter die Finanzierung seines Projekts „Brandenburg in der Dritten Welt“ sichert. Damit wäre die Situation zu umschiffen gewesen, daß wir nach unserer Herauslösung aus der Universität Potsdam Ende 1993 keinen Träger hatten, der von seinem Status her staatliche Mittel entgegennehmen konnte. Unser Projekt selbst war rechtlich dazu nicht in der Lage.

Die Freundlichkeit und Kollegialität, mit der Dr. Ghawami uns gegenübertrat, ließ uns schnell vergessen, daß in der DDR-Zeit ab und an in den uns übergebenen Direktiven für Reisen in die Dritte Welt WUS als eine „proimperialistische Agentenorganisation“ charakterisiert worden war und Kontakte absolut verboten waren. Als ich später auf einer WUS-Tagung über dieses Problem sprach, gab es im Saal Totenstille, gefolgt von einem Riesengelächter. Nunmehr lernten wir, daß WUS eine bereits seit 1920 existierende Entwicklungshilfeorganisation mit Sitz in Genf ist. Das Deutsche Komitee von WUS wurde von Leuten wie Dr. Kambiz Ghawami und Norbert Noisser  repräsentiert, die so gar nichts Wessi-Haftes an sich hatten; sie waren kooperativ, hilfsbereit und kontaktfreudig. Mit der erneuten Zusage unseres Ministeriums, uns benötigte finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen, trat die WUS-Variante faktisch für die Zeit vom 01.01. bis 31.12.1994 in Kraft. Das war für uns eine außerordentliche Hilfe und war mit völlig neuen Aufgaben auf dem Gebiet der entwicklungspolitischen Bildung verbunden.

In  einem Gespräch mit dem Bildungsstaatssekretär Dr. Harms am 28.02.1994, das er und ich bereits am 21.1.1994 gemeinsam vorbereitet hatten und an dem neben dessen Mitarbeitern Gunther Hilliges, Kambiz Ghawami und ich teilnahmen, war vorbereitend über Aspekte einer Situation gesprochen worden, die eintreten würde, wenn Brandenburg zum „Basisland“ für die WUS-Außenstelle Neue Bundesländer werden würde. Das „Ost-Projekt“ sollte den Zeitraum von 1995 bis 1997 umfassen. Finanziert werden sollte das Ganze über die Länder-EZ. Eine Beteiligung der Kultusministerien erschien uns zweckdienlich, um eine „Mischfinanzierung“ zu erreichen. Dr. Harms wurde gebeten, auf der Staatssekretärberatung der Bundesländer für diese Idee zu werben und „Druck zu machen“.

Für diese Variante gab es also nun grünes Licht. Damit konnte die bisherige entwicklungspolitische Arbeit des Projekts „Brandenburg in der Dritten Welt“, des späteren BEPI,  fortgesetzt werden und allmählich mehr oder weniger nahtlos auch zur Lösung der WUS-Aufgaben übergeleitet werden. Das Ministerium sicherte die Fortsetzung der 1993 angelaufenen Finanzierung für das Jahr 1994 zu. Eine Argumentation für die Staatssekretäre der anderen Bundesländer wurde recht schnell erarbeitet. Wenn jemand annimmt, daß mit der Aufnahme dieser Tätigkeit auch die finanziellen Mittel zur Verfügung gestanden hätten, dann irrt er sich gewaltig. Auch die nächsten Monate mußten „gehalts- und sachmittelfrei“ laufen, bis WUS in Vorleistung trat. Diese ausgesprochen solidarische Haltung der Wiesbadener hinsichtlich  des Überlebens des Projekts „Brandenburg in der Dritten Welt“ und seiner Betrauung mit spezifischen zusätzlichen Aufgaben blieb typisch für die gegenseitigen Beziehungen. Die Weiterarbeit auf beiden Politikfeldern brachte eine völlig neue Situation für uns, machte aber große Freude. Vor allem lernten wir eine neue westdeutsche Klientel der entwicklungspolitischen Bildung kennen.  

Im Verlauf des nach Wiesbadener Einschätzung ausgesprochen erfolgreichen Jahres der Arbeit unserer Außenstelle kam in den entwicklungspolitischen Zirkeln sowie unter Parlamentariern und Landespolitkern erneut die Diskussion über die Schaffung eines abgesicherten entwicklungspolitischen Instituts in Brandenburg auf. Es entstand bis Jahresende eine Konzeption, die die Fortsetzung der breitgefächerten, vielseitigen, in Brandenburg und inzwischen in den anderen Neuen Bundesländern, aber auch in den alten Bundesländern und seit einiger Zeit in Ansätzen auch im benachbarten Ausland sehr geschätzten Tätigkeit des Projekts „Brandenburg in der Dritten Welt“ einschließlich aller die brandenburgische Spezifik ausmachenden Elemente vorsah. Die Umsetzung dieser Konzeption und ihre Finanzierung sah zunächst ausgesprochen einfach aus. Die Vollfinanzierung sollte durch das Ministerium der Justiz, für Bundes- und Europaangelegenheiten, das nunmehr für Entwicklungspolitik zuständig war, wie in den vorangegangenen Jahren vom Wissenschaftsministerium praktiziert, übernommen werden.  Auf der Grundlage einer Arbeitsvereinbarung mit WUS sollte das Institut die WUS-Aufgaben in Brandenburg mit wahrnehmen und bei entsprechenden Wünschen auch in den anderen Neuen Bundesländern aktiv werden. WUS sagte zu, dabei seine eine halbe Stelle beim Institut zu belassen.

Trotz einer ausgesprochen fruchtbaren Arbeit des BEPI und der WUS-Außenstelle in Potsdam über viele Jahre hin traten 2003 politische Bedingungen in Brandenburg ein, die eine weitere Tätigkeit unmöglich machten – aber das ist eine ganz andere Geschichte.

Der Geist, der vom nunmehr 60-jährigen Jubilar World University Service (WUS) ausging und in die Neuen Bundesländer mit unserer Hilfe hineingetragen wurde, wirkt weiter und ist die Grundlage für ungezählte weiter tätige Initiativen bei uns .Wir wünschen WUS (Deutsches Komitee) mindestens weitere 60 Jahre erfolgreichen Wirkens in ganz Deutschland!