Paraden und Rituale, in: Neues Deutschland (Berlin) vom 1./2.8.2015, S. 25


Die Autoren, drei erfahrene hochrangige Militärs, widmen ihr im Verlag BEBUG mbH/edition berolina erschienenes Buch "allen, die mit ihrem Dienst in den Streitkräften der DDR zur Erhaltung des Friedens beigetragen haben". Der Leserkreis wird sich in erster Linie aus ehemaligen NVA-Angehörigen oder "Spätergeborenen" zusammensetzen, also Interessenten am Erlebten oder an der Materie Militärgeschichte mit wichtigen Komplexen des Lebens einer Armee, in diesem Falle der Armee der DDR in den Jahren 1956 bis 1990 (also ohne Berücksichtigung der sogenannten "Vorläufer"). Diese Komplexe stehen ansonsten für den "Normalverbraucher" nicht im gut zu sehenden Vordergrund. Sie stellen aber einen entscheidenden Teil des Grundgerüsts einer Streitmacht, des strukturellen "Skeletts" dar, gleichzeitig des gut sichtbaren Außenanblicks, wie ihn die Bevölkerung eines Staates wahrnimmt, des zeremoniellen In-Erscheinung-Tretens.

Das Gebiet der Zeremonien, Rituale und des Brauchtums steht oft im Hintergrund aller Betrach- tungen oder wird gar vergessen. Alle diese Komplexe werden von den Autoren interessanterweise aus historischen Abrissen der militärischen Traditionen hergeleitet. Dieses Gebiet ist nicht selten weitgehend auch gedienten Soldaten, Unteroffizieren und Offizieren relativ oder sogar absolut, zumindest partiell so gut wie unbekannt. Es handelt sich dabei um solche Komplexe wie:

Paraden (Land-, Luft-, Flotten- und Trauerparaden);

Ehreneinheiten, -Wachen, -Posten und -Abordnungen;

Truppenfahnen und Banner, Fahnenschleifen sowie Traditionsnamen für Kasernen oder Schiffe;

Eide und Schwüre;

Ernennungen und Beförderungen, Auszeichnungen u.a.;

allgemeine und spezielle Vergatterungen sowie solche im Diensthabenden System;

Kranzniederlegungen, Begräbnisse und Beisetzungen;

Militärmusik;

maritimes Brauchtum und Rituale.

Für das methodische Vorgehen mag das Kapitel Paraden stehen. Paraden werden dargestellt als Mittel, sich sowohl dem potentiellen Gegner als aber auch der eigenen breiten Öffentlichkeit darzustellen. Die militärische, militärtechnische, exerziermäßige, politisch-ideologische und letztendlich persönliche Vorbereitung der teilnehmenden Soldaten der verschiedenen Teilstreitkräfte, Waffengattungen und Truppenteile und ihrer Mechanismen (z.B. Paradestab)  werden ausführlich dargestellt. Das Paradetraining erforderte gewaltige monatelange Anstrengungen für die Paradetruppen und brachte hohe Kosten und Studien- und Ausbildungsausfall an den Schulen und Hochschulen sowie an der Militärakademie der NVA mit sich. Nicht zuletzt deshalb warfen Verantwortliche immer wieder die Frage auf, ob von der jährlichen Durchführung zum Tag der Republik nicht abgegangen werden sollte, was von der  Parteiführung jedoch immer wieder abgelehnt wurde. Die letzte große Parade dieser Art fand in Berlin und Rostock am 7. Oktober 1989 statt.

Eingegangen wird auch auf die Spezifik der von der Sowjetarmee übernommenen Feldparaden, die nach Manövern, oftmals multinational im Rahmen des Warschauer Paktes, stattfanden, und auf  Luftparaden der Luftstreitkräfte und Flottenparaden der Volksmarine sowie Flottenbesuche, die nicht selten auch echte Anziehungspunkte für die Bevölkerung waren. Auch der Große Zapfenstreich, der Wachaufzug und Ehrenformationen erfahren eine gründliche Darstellung einschließlich des Gleichschritts und des Exerzierschritts, wie sie in der NVA exakt definiert und angewandt wurden.

Der Band ist mit zahlreichen Fotos und interessanten Übersichten (u.a. über Flottenbesuche) ausgestattet. Er würde wahrscheinlich noch mehr gewinnen durch eine Herstellung  in einem größeren Format, auch mit daraus resultierenden besseren Möglichkeiten für Fotos und Abbildungen. Die Veränderung der drucktechnischen Gestaltung und Nutzung der Seiten ist im Falle einer Neuauflage unumgänglich.


Löffler, Hans-Georg / Biedermann, Bernd / Kerner, Wolfgang, Paraden und Rituale der NVA

1956-1990. BEBUG mbH/edition berolina, Berlin 2014, 320 S.


 Walter Hundt