Jahresliteraturbericht 6

(Erscheinungsjahr 2016)


Militärisch-historische und militärtechnische Analysen im Rahmen

der DDR-Luftwaffen-Geschichtsschreibung

im Zeitraum 2015


Walter Hundt




Ein Trend, auf den bereits im letzten Jahr als sich allmählich abzeichnend hingewiesen wurde, ist der, daß die Zahl der neu erscheinenden Titel für unseren Jahresliteraturbericht zu LSK/LV aus verschiedenen Gründen sichtbar abnimmt.


Waren es 2011 im ersten Jahr des Erscheinens 5751 Buchseiten, die von mir verarbeitet werden mußten (2012 4578, 2013 4453, 2014 3216, 2015 1131 Seiten) , so sind es in diesem Jahr lediglich 707 einschlägige Buchseiten. Haben wir vielleicht alles geschrieben, was geschrieben werden muß oder was sich anbietet ? Augenscheinlich liegen mehrere Gründe vor:



Ursprünglich hatte ich deshalb vor, das Erscheinungsjahr 2016 ausfallen und 2016/2017 als Doppelausgabe erscheinen zu lassen. Aber zwei in jüngster Zeit erschienene Titel („Fliegeringenieurdienst“ und Stünkel / „Starfighter“) müssen auf den diesjährigen „Tisch“.


Die Rolle der Luftstreitkräfte/Luftverteidigung in Standard- und Querschnittspublikationen zur NVA im Jahr 2015


Auch in diesem Jahr liegt unter dieser Rubrik lediglich ein Titel  vor, allerdings ein sehr gewichtiger, über den Kenntnisse nur in einem relativ kleinen Kreis von Militärs wirklich vorhanden waren und sind. Es handelt sich um „Paraden und Rituale der NVA1956-1990“ 1.), die Hans-Georg Löffler, Bernd Biedermann und Wolfgang Kerner, drei erfahrene, hochrangige Offiziere, im Verlag edition berolina reich bebildert vorstellen.


Diese Komplexe standen für den militärischen „Normalverbraucher“, selbst bei höheren Rängen, nicht im gut zu sehenden Vordergrund. Dieses Gebiet war nicht selten weitgehend auch gedienten Offizieren, Unteroffizieren und Soldaten relativ oder sogar absolut, zumindest partiell so gut wie unbekannt. Es stellte aber in der deutschen militär-historischen Entwicklung einen entscheidenden Teil des Grundgerüsts einer Streitmacht, also des strukturellen „Skeletts“ dar, gleichzeitig des gut sichtbaren Außenanblicks, wie ihn die Bevölkerung eines Staates wahrnahm, des zeremoniellen In-Erscheinung-Tretens. Alle diese Komplexe werden von den Autoren interessanterweise aus historischen Abrissen der militärischen Traditionen hergeleitet. Es handelt sich um solche Komplexe wie Land-, Luft-, Flotten-, Trauer- und Feldparaden; Ehreneinheiten, -Wachen, -Posten und -Abordnungen; Truppenfahnen und Banner, Fahnenschleifen sowie Traditionsnamen für Kasernen und Schiffe; Eide und Schwüre; Ernennungen und Beförderungen, Auszeichnungen u.a.; allgemeine und spezielle Vergatterungen sowie solche im Diensthabenden System; Kranzniederlegungen, Begräbnisse und Beisetzungen; Militärmusik; maritimes Brauchtum und Rituale.


Die Luftstreitkäfte speziell betreffend sind die Kapitel Luftparaden und Jagdflieger-Vergatterung. Die Frage von Luftparaden über (Ost-)Berlin stellte wegen der speziellen alliierten Hoheitsrechte ein besonders kompliziertes Kapitel dar. Die erste mit einer Parade der Landstreitkräfte verbundene Luftparade der DDR-Luftstreitkräfte fand deshalb am  1.Mai 1957 über Dresden mit 15 MiG-15 unter dem Befehl von Oberstleutnant Reinhold statt. Die zweite fand in Berlin anläßlich des 35. Jahrestages der Gründung der DDR 1984 statt. Die gründliche Vorbereitung erfolgte im Raum östlich von Berlin mit 48 (plus 4 Reserve) Hubschraubern  Mi-8 und Mi-24. Große Aufmerksamkeit widmen die Autoren, dem Thema Vergatterung der Jagdfliederkräfte als der mobilsten Waffengattung und Bestandteil des Diensthabenden Systems der Luftverteidigung.


                                                                                                                                          

Der Fliegeringenieurdienst (FID) – das größte Strukturelement der DDR-Fliegerkräfte


Ein Autorenkollektiv unter Leitung von Gotthard Hahn und Thomas Hentschel hat den Band „Der Fliegeringenieurdienst der DDR-Militärluftfahrt“ 2.) mit einem Vorwort von Sigmund Jähn in mühevoller und aufwendiger Kleinarbeit entstehen lassen. Dem Leser liegt in einer attraktiven Cover-Gestaltung die historisch-technische Entwicklung des FID vor, reichlich bebildert und graphisch hervorragend gestaltet sowie von MediaScript GbR Berlin  erstaunlich preiswert angeboten.


Der Band behandelt  die Arbeit des FID als des größten Strukturelements der DDR-Luftstreitkräfte, das nicht selten in generellen Publikationen über die LSK zu kurz kommt. So wird eine Lücke geschlossen, die in  vielen Darstellungen und Veröffentlichungen vor und nach der Wende der Rolle des FID nicht gerecht wurde. FID war – neben den Piloten – der entscheidende Faktor für Flugsicherheit und für Einsatzbereitschaft des fliegenden Bestands.Von einer qualifizierten Tätigkeit des FID, der für die sichere Flugtätigkeit aller bewaffnet fliegenden Kräfte (Luftstreitkräfte, Landstreitkräfte, Volksmarine und Grenztruppen) verantwortlich zeichnete, hing maßgeblich die Ausbildung und die Dienstdurchführung der Jagdflieger, Jagdbombenflieger, Transportflieger und Hubschrauberkräfte ab.


Der Band gliedert sich in 13 Kapitel, die zunächst der Definition des FID und seiner geschichtlichen Entwicklung in den Aero-Klubs des Innenministeriums, der VP Luft und der KVP sowie der Nutzung der sowjetischen Erfahrungen dienen. Dem schließt sich der Aufbau in der NVA, deren Kommando Luftstreitkräfte/Luftverteidigung, den Flieger-Divisionen und den Geschwadern sowie der Offiziershochschule an. Die folgenden Kapitel widmen sich den Wartungssystemen, der Einsatz- und Gefechtsbereitschaft, der Flugsicherheit, den Grundsatz-Dienstvorschriften, der Neu-Indienststellung, der Instandsetzung, der Truppeninstandsetzung, der industriellen Indienststellung und der Heran- und Weiterbildung sowie einer Reihe spezieller Übersichten. Die Unverzichtbarkeit der Einheit von fliegendem und  ingenieurtechnischem Personal wird immer wieder hervorgehoben. Ein umfassendes   Kapitel 11 stellt interessante Erlebnisberichte aus der jahrzehntelangen Entwicklung des FID im Inland und im Ausland dar, die die Kompliziertheit der Tätigkeit ahnen lassen. Der Band enthält diverse Anlagen und Übersichten.



MiG-21 und Starfighter – Vergleich aus zweierlei Sicht


Prinzip meiner Jahresliteraturberichte war bisher stets die ausschließliche Auswertung von Büchern von DDR-Autoren über die LSK/LV der ehemaligen DDR. Dieses Mal habe ich mich entschlossen, davon zunächst einmalig abzuweichen und einen westdeutschen Autor auf seine Bitte hin mit einem Titel über Maschinen des Bestandes der Bundeswehr aufzunehmen, um interessante Vergleiche zwischen „ostdeutschen“ (sowjetischen) und „westdeutschen“ (amerikanischen) Flugzeugtypen durch „ostdeutsche“ und „westdeutsche“ Piloten zu versuchen. Denkbar wäre der Vergleich der technischen Daten, Gefechtseigen-schaften und Erfahrungen, damit oder auch vergleichende Erfahrungen in den jeweiligen Ausbildungsprofilen ostdeutscher und westdeutscher Piloten in den Herstellerländern der Maschinen. Auch Ausbildungsdauer, Ausbildungsmethodik und deren generelle Gestaltung könnten hier interessante Aufschlüsse bringen.


Es handelt sich um das Buch des fliegenden Fregattenkapitäns a.D. Rolf Stünkel "Mach 2. Meine Jahre im Cockpit des Starfighters" 3.). Stünkel  beschäftigt sich seit langem mit dem ehemaligen Fluggerät der DDR und mit dem Einsatz der seiner Meinung nach vergleichbaren Typen im "Kalten Krieg". Besondere Aufmerksamkeit widmet er der MiG-21 und der von ihm lange Zeit geflogenen F-104G Starfighter. Seine Einschätzungen  wurden auch in Kontakt mit DDR-MiG-21-Piloten, so z.B. mit Karl-Heinz Maxwitat, Verfasser des Buches "MiG-21. Erlebnisse – Fakten – Hintergründe", bekannt gemacht. Interessant könnte diese Art des Erfahrungsaustauschs mit seinen Fakten und Daten sowie Ausbildungserfahrungen und Qualitätskriterien im historischen Nachhinein sein, besonders für ehemalige Piloten der NVA/LSK.

Stünkels Buch verweist auf die aus jedem Rahmen fallende riesige Anzahl der für ungezählte Staaten der Welt produzierten MiG-21. Er leitet wichtige Vergleichspositionen ab, da die bloße Existenz dieser beiden Abfangjäger zur permanenten Überarbeitung zwang.  DDR-Piloten werden interessiert an den sich sehr unterscheidenden Ausbildungswegen in der Sowjetunion und in den USA sein.


Bisher wohl unbekannt sein dürften Treffen zwischen Angehörigen des Jagdgeschwaders 9 der NVA im August 1990 und Fliegern des westdeutschen Marinegeschwaders 1, darunter auch ein Treffen und einen gemeinsamen Formationsflug mit je 4 MiG-21 und 4 Starfightern über dem Seegrenzgebiet DDR-BRD.



Luftstreitkräfte und Fotokunst – wie immer dabei


Wie schon mehrere Jahre wird auch zum neuen Jahr der reichbebilderte Kalender "2016 – Flugplatz Museum Cottbus". Verlag MediaScript GbR, Berlin 2015, 12 Seiten 4.) vorgelegt.

  

Beide fliegerischen Institutionen setzen damit eine Tradition fort, auf die die Leser dieses Jahresberichts jeweils bereits mit Spannung warten. Seit einiger Zeit übrigens auch solche aus den alten Bundesländern. Die Aufnahmen der 10 Jagdflugzeuge und der 3 Hubschrauber zeichnen sich immer wieder durch eine hervorragende Qualität aus. Für den Nicht-Spezialisten wäre eine kleine Inschrift mit der Typenbezeichnung, wie in vorangegangenen Jahren, von Vorteil gewesen.

 


Rezensierte Literatur:


  1. Löffler, Hans-Georg / Biedermann, Bernd / Kerner, Wolfgang, Paraden und Rituale der NVA 1956-1990.   BEBUG mbH / edition berolina, Berlin 2014, 220 S.

  2. Autorenkollektiv, Der Fliegeringenieurdienst der DDR-Militärluftfahrt. Verlag MediaScript GbR, Berlin 2015, 264 S.

  3. Stünkel, Rolf, Mach 2. Meine Jahre im Cockpit des Starfighters. GeraMond Verlag GmbH, München 2014, 208 S.
     
  4. Kalender 2016 – Flugplatz Museum Cottbus.  Verlag MediaScript GbR, Berlin 2015, 12 S.



Vorankündigung:


Im Frühjahr 2016 erscheinen aller Voraussicht nach im Verlag MediaScript Berlin vom Autor Dieter Kleemann (Oberst a.D.) seine romanähnlichen Lebenserinnerungen, die sich besonders an die Nachkriegsgeneration richten.  Einen großen Teil nehmen seine fliegerischen Aktivitäten in den DDR-Luftstreitkräften und in deren Hauptstab ein. Der Band trägt den Titel "Im Krieg geboren".


Nach jahrelangem vergeblichen Bemühen gibt es wieder Hoffnung, daß in absehbarer Zeit doch noch eine Publikation "Die Regierungsflieger" (Tranportflieger-Geschwader TG-44) erscheint.